Rezension

Ein plötzlicher Glücksfall für Leser

Ein plötzlicher Todesfall - Joanne K. Rowling

Ein plötzlicher Todesfall
von Joanne K. Rowling

Darum gehts:

Als Barry Fairbrother mit Anfang vierzig plötzlich stirbt, sind die Einwohner von Pagford geschockt. Denn auf den ersten Blick ist die englische Kleinstadt mit ihrem hübschen Marktplatz und der alten Kirche ein verträumtes und friedliches Idyll, dem Aufregung fremd ist. Doch der Schein trügt. Hinter der malerischen Fassade liegt die Stadt im Krieg. Krieg zwischen arm und reich, zwischen Kindern und ihren Eltern, zwischen Frauen und ihren Ehemännern, zwischen Lehrern und Schülern. Und dass Barrys Sitz im Gemeinderat nun frei wird, schafft den Nährboden für den größten Krieg, den die Stadt je erlebt hat. Wer wird als Sieger aus der Wahl hervorgehen – einer Wahl, die voller Leidenschaft, Doppelzüngigkeit und unerwarteter Offenbarungen steckt? J.K. Rowlings erster Roman für Erwachsene ist aufwühlend, berührend und spannend. Ein großer Roman über eine kleine Stadt von einer der besten Erzählerinnen der Welt.

Mein Eindruck:

Die Erfolgsautorin von Harry Potter meldet sich zurück mit einem neuen Roman, der auch nach dem Lesen noch eine ganze Weile nachklingt.
Sobald der beliebte und viel zu früh verstorbene Barry Fairbrother beerdigt wurde, geht im kleinen Städtchen Pagford der Kampf um den freigewordenen Sitz im Gemeinderat los - als "Krieg" , wie der Klappentext es beschreibt, würde ich es allerdings nicht bezeichnen. Höchstens ein kalter Krieg, der sich langsam aber absehbar stetig hochschaukelt, und unter anderem von Vorkommnissen angefacht wird, die eigentlich gar nicht direkt etwas mit dem Gemeinderat zu tun haben, denn neben dem Wetteifern um den Platz dort haben alle Charaktere auch noch mit ihrem eigenen Leben zu kämpfen, denn so richtig zufrieden scheint keiner von ihnen zu sein. Doch der aufkeimende Streit um die Mitgliedschaft im Rat bringt noch so manch anderen Stein ins Rollen...
J.K.Rowling ist eine unglaublich gute Beobachterin und Menschenkennerin. Die Charaktere sind jeder für so detailreich beschrieben, dass man fast glaubt, sie so gut wie sich selbst zu kennen und jeden ihrer Schritte deshalb glasklar nachvollziehen kann. Aber sie sind auch deshalb so vielschichtig, weil ihre negativen Seiten gnadenlos mit ins Licht gerückt werden. Absolut jeder der Charaktere hat Schwächen, Macken, Rachegedanken, Süchte, Ticks, Hintergedanken, Affären, liebt oder hasst eine der anderen Personen im Buch mit einer lodernden Inbrunst. Dadurch wird das Lesen etwas anstrengender, weil man sich so viele Fakten über jeden Einzelnen merken muss, aber es gibt dem Buch auch eine ungeheure Tiefe und macht die Charaktere so menschlich wie ich es in wenigen anderen Büchern gespürt habe. Hut ab für diese herausragende Erzählleistung!
Interessanterweise hatte ich hier, anders als beim Lesen der meisten anderen Bücher, die ganze Zeit über keine Lieblingsfigur, mit der ich besonders mitgefiebert habe - trotzdem hat es dem Lesevergnügen keinen Abbruch getan.
Die Geschichte bekommt der Leser aus stetig wechselnden Perspektiven geschildert. Nicht nur der Fokus auf die Story, sondern auch das Alter der jeweils beobachtenden Figur ändern sich.  So wird die Handlung nicht nur aus der Sicht von 5 Jugendlichen, sondern auch durch die Augen von deren Eltern- und teilweise sogar Großelterngeneration gezeigt. Anfangs scheint das ein wenig gewöhnungsbedürftig, nachdem man in Harry Potter sieben Bücher lang praktisch aus Harrys Sicht die Geschehnisse verfolgt hat. Aber gerade deshalb war es spannend, so viele grundverschiedene Sichtweisen auf das hier vorliegende Problem zu bekommen, sodass man sich als Leser aus all den Meinungen der Protagonisten eine eigene zusammensetzen konnte.
Das Schöne ist, dass J.K.Rowling  in diesem Roman ihre einzigartige Erzählstimme aus den Harry Potter-Romanen  nicht verloren hat, für die ich sie immer so geschätzt habe. Ich finde, gerade so etwas macht einen wirklich guten Autor und sein indiviuelles Profil aus: dass er, egal welches Genre und für welches Alter er gerade schreibt, seinen Stil beibehält. J.K. Rowling hat das geschafft und sich etabliert - obwohl nach dem Ende der Potter-Bücher nicht alle damit gerechnet haben.
Im Übrigen finde ich es noch wichtig zu erwähnen, dass Ein plötzlicher Todesfall defintiv kein Buch für Kinder ist. Es ist ein sehr nachdenkliches und gesellschaftskritisches Werk, das kein Blatt vor den Mund nimmt und vorallem die Schattenseiten und den harten Alltag der Protagonisten (und letztlich auch der Leser) versucht einzufangen und zu reflektieren. Aber auch Humor findet seinen Platz in dieser Geschichte. Nach dem Lesen dieses Buches ist mir aufgefallen, wie aalglatt und beschönigt viele Bücher ihre Protagonisten rüberbringen und wie blutleer sie im Gegensatz zu den Figuren hier sind. 
Einige Rezensionen haben bereits verlauten lassen, die im Buch gezeigten Geschehnisse seien überspitzt oder zu negativ dargestellt, aber ich hatte beim Lesen stets das Gefühl, jedes Wort und jede geschilderte Handlung seien vollkommen realistisch und nachvollziehbar. Meiner Meinung nach ist es gerade diese Tatsache, die es schafft, dass einen das Buch (insbesondere der Schluss) zum Nachdenken bringt und auch nach Ende der Lektüre noch eine Weile nicht loslässt.