Rezension

Ein verregneter Sommer am Loch

Sommerwasser -

Sommerwasser
von Sarah Moss

Bewertet mit 5 Sternen

An einem schottischen Loch (See) stehen Ferienhäuser einträchtig nebeneinander. Die Gäste kommen im Sommer hierher, um in den einfachen Holzhütten zu entspannen und den Alltag hinter sich zu lassen. Doch dieser Sommer hat es in sich. Der Regen prasselt ununterbrochen, die Nebelwände verschleiern die Landschaft. Die Gäste hocken in ihren Buden und wissen mit sich und der Zeit nichts anzufangen.

Justine läuft. Sie joggt trotz Regen und Matsch ihre Runden, argwöhnisch beäugt von anderen Frühaufstehern in dieser Siedlung auf Zeit. Milly und Josh ist das egal, sie sind ein junges Paar und proben ihr zukünftiges Zusammenleben, das bitte auch im Bett gefälligst harmonisch verlaufen soll. Auch Mary und David sind mit sich selbst beschäftigt, Mary versucht ihre Erinnerungen zusammenzuhalten und David beobachtet sie dabei nach vielen Jahren der Ehe etwas hilflos.
Bei den Familien mit Kindern geht es schon etwas lebhafter zu. Beckys großer Bruder probiert seine pubertären Kräfte auf dem Loch mit dem Kajak aus, während Becky in den Wäldern den campenden Exsoldaten entdeckt.
Izzi und Patrick sind noch zu klein, um auf eigene Faust draußen zu spielen. Pat lernt gerade erst das Laufen und Izzi hat Angst vor dem Schattenmann, den sie nachts von ihrem Schlafkammerfenster aus draußen zwischen den Bäumen sehen kann.

Nur Lola weiß mit ihrer Umgebung umzugehen. Unerschrocken und immer ein glänzenden Vorbild für ihren jüngeren Bruder Jack, rückt sie sich die Welt zurecht, bezwingt die über dem Wasser und rutschigen Steinen baumelnde Schaukel und kann jederzeit ihren Bruder und ihre Eltern dazu bringen, sich vor Dinge zu fürchten, die nicht da sind.

Der anhaltende Regen verdüstert bei allen die Gedanken. Da ist es auch nicht hilfreich, dass in einer der Hütten jede Nacht lautstark Musik gespielt wird und dieses ausländisch aussehende Kind auch im Dunkeln noch draußen allein in ihren Lackschuhen herumläuft. Lola hat sie an der Schaukel getroffen. Sie heißt Violetta. Violetta kann Lola aber nicht sagen, aus welchem Land sie kommt, weil sie doch hier ist und eigentlich schon immer war.

Sarah Moss geht von Hütte zu Hütte und stellt uns ihre Protagonisten vor. Sie klinkt sich in ihre Gedanken ein und so unterschiedlich Alter und Umstände auch sein mögen, findet sie die perfekten Worte, sodass es ein wahrer Lesegenuss ist. Vom feingeistigen Kunstverständigen bis zum nörgelnden Teenie, passt sie dabei die Sprache virtuos an. Doch man sollte genau hinhören, denn mit wenigen Sätzen zeigen sich alsbald Risse im glänzenden Porzellan, die diese scheinbare Idylle für jeden Einzelnen zur Bewährungsprobe werden lässt. Bald wird nämlich klar, dass etwas passieren wird. Die Zwischenkapitel der Natur- und Landschaftsbeschreibungen deuten es an... doch aufgepasst, Moss spielt mit ihren Leser*innen.

Das stimmungsvolle Coverbild aus dem Unionsverlag, die sorgfältige Übersetzung aus dem Englischen von Nicole Seifert, beides gliedert sich harmonisch in die 182 Seiten voller Lokalkolorit, Lebensbilder und fataler Eskalation. Die Frage bleibt, was zählt noch die eigene Befindlichkeit, wenn es zum Äußersten kommt? Vollste Leseempfehlung!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 28. Juli 2023 um 19:21

Es bleibt nicht idyllisch? Mist.