Rezension

Eindringlich, dennoch neutral und einförmig

Der Wald - Nell Leyshon

Der Wald
von Nell Leyshon

Bewertet mit 2.5 Sternen

„Die Farbe von Milch“ war 2018 für eine lange Zeit in aller Munde als ein hoch emotionales und berührendes Werk der englischen Dramatikerin Autorin Nell Leyshon. Ohne dieses gelesen zu haben, habe ich mich gefreut „Der Wald“ von ihr lesen zu können und habe dementsprechend hohe Erwartungen gehabt.

 

Die Inhaltszusammenfassung nimmt schon viel der Handlung vorweg, wobei das Buch deutlich in drei Abschnitte eingeteilt ist: Der Beginn im Hause in Polen, der titelgebende Aufenthalt im Wald in der Mitte des Buches und das Ende, Jahre später in England.

 

Die Szenen in Pawels zuhause stellen sich zu Anfang als sehr lebendig und durchaus interessant heraus, wobei sie nach und nach leider an Reiz verlieren. Man begleitet den „Alltag“ der Familie, die Beziehungen aller Mitglieder, womit sie während des Kriegs zu kämpfen hatten und welche Steine ihnen in den Weg gelegt werden. Besonders hervorzuheben ist die Einteilung der Kapitel, diese spiegelt sich nämlich in der Mitte des Buches, sodass die Titel und teilweise auch die namensgebenden Gegenstände (Löffel, Kleid etc.) zweimal auftauchen, zur Kriegszeit und in der Zukunft in England. So entsteht eine Verbindung zwischen den Zeitebenen, die sowohl Pawel und seine Mutter als auch den Leser in die Zeit zurückversetzt. Dennoch lässt die Handlung des ersten Abschnitts nach einigen Seiten zu wünschen übrig und man erwartet voller Ungeduld die Flucht in den Wald. Vor allem von dieser Zeit für Mutter und Sohn habe ich mir erhofft. Selbstverständlich ist es bedrückend, hoffnungslos und beinahe ausweglos, aber es hat mich leider überhaupt nicht berührt. Des Weiteren werden manchmal verwirrende und groteske Handlungen ausgeführt, bei denen ich mich tatsächlich gefragt habe, wo der Sinn dahintersteckt (z.B. das Instrumentespielen am Ende des 1. Teils).

 

Pawel ist ein liebenswürdiger Protagonist, den man schnell ins Herz schließt: Naiv, wissbegierig und zielstrebig. Er stellt viele Fragen an seine Mutter, die resilient wirkt, tief im Inneren aber eine sehr selbstlose Person ist, die ihrem Sohn viel mehr Aufmerksamkeit schenkt als sich selbst. Die sich immer hinten anstellt, um Pawel ein gutes Leben zu ermöglichen. Als Leser versteht man Pawel durchaus in dieser ausweglosen Welt des Polens in den 1940ern, fühlt sich aber mehr der Mutter verbunden -zumindest ist das meine persönliche Meinung. Im letzten Teil wechseln die Standpunkte, die beiden machen eine deutliche Entwicklung durch, ich fühlte mehr Missverständnis von der Mutter und Suche nach Anerkennung von Pawel.

 

Nell Leyshon schreibt detailverliebt. Sie schreibt nicht nur die Gefühle der Personen nieder, sondern auch deren Haltung, die Gegenstände im Raum, den Geruch, die angespannte Stimmung. Mal gefühlskalt, dann wieder intensiv und mit voller Wucht. Mich konnte ihr Stil meist leider nicht erreichen, es hat etwas gefehlt, um bei mir das Entscheidende auszulösen. Die Szenen schwammen mir vor Augen, jedoch haben sie nie eine konkrete Form angenommen, waren nie etwas definiertes, vorstellbares, in dem man sich selbst wiederfinden kann.

 

„Der Wald“ ist ein detailverliebter Roman, der sich leider zu häufig in genau diesen Kleinigkeiten verliert, die durchaus die Situation lebhafter gestalten können, aber auch zu überspielt wirken. Hin und wieder erinnerte mich der Roman an einen Film von Giorgos Lanthimos (Der Lobster), zu dem man sich aufgrund der Skurrilität und Besonderheiten zwar hingezogen fühlt, zu dem man aber auch immer eine gewisse Distanz wahrt. Selbstverständlich kann „Der Wald“ viele Leser begeistern, berühren und beeindrucken, hat es aber in meinem Falle nicht geschafft.