Rezension

Eindrucksvoller, unterhaltsamer, authentischer und berührender Debut-Roman

Nachruf auf den Mond - Nathan Filer

Nachruf auf den Mond
von Nathan Filer

Bewertet mit 5 Sternen

Manchmal beginnt man mit der Lektüre eines Romans, nur um festzustellen, dass man dieses oder jenes so oder so ähnlich schon öfter gelesen hat. Irgendwann denkt man sich, dass man sich mit diesem Umstand abfinden muss und stellt geringere Erwartungen an die nächste Lektüre. Möglicherweise kommt das einigen bekannt vor, ähnlich habe ich gedacht, bevor ich mit dem Lesen von „Nachruf auf den Mond“  von Nathan Filer begonnen habe. Doch dieses Buch hat mich überrascht und berührt, hat alle meine Erwartungen übertroffen.

 

Der Roman handelt von der Geschichte des 19-jährigen Matthew Homes, Patient einer psychiatrischen Klinik in Bristol, welcher aus der Ich-Perspektive seine Vergangenheit schildert, die ihn in die Psychiatrie gebracht hat. Mittelpunkt dieser Erzählung ist Simon, Matthews älter Bruder, der mit 11 Jahren bei einem Unfall während des Campingurlaubs der Familie in Cornwall starb. Auch zehn Jahre später gibt sich Matthew noch die Schuld am Tod seines Bruders, welchen Matthew immer noch hören und sehen kann, wenn er seine Medikamente absetzt… Denn Matthew leidet an Schizophrenie.

 

Als ich das Cover und den Titel dieses Romans zum ersten Mal gesehen habe, war ich etwas skeptisch. Ich konnte mir darunter nur wenig vorstellen, bin aber durch den Klappentext und die Leseprobe neugierig geworden. Auf dem Cover ist eine Ameise abgebildet, welche den Wunsch Simons nach einer Ameisenfarm symbolisiert. Im Mond kann Matthew seinen Bruder erkennen, eine Anspielung auf dessen Krankheit, Simon litt am Down-Syndrom. Nach der Lektüre empfinde ich dieses Cover als sehr passend. Außerdem ist das Hardcover mit einem Lesebändchen ausgestattet, was mir persönlich sehr gut gefällt.

 

Ebenso ungewöhnlich wie das Cover des Buchs, ist die restliche Gestaltung des Romans, beispielsweise erfolgt zwischenzeitlich ein Wechsel der Schriftart, da Matthew einen Teil seiner Erzählung auf dem Computer in der psychiatrischen Klinik und einen anderen Teil auf der Schreibmaschine in seiner Wohnung verfasst. Außerdem sind im Roman Briefe und Zeichnungen enthalten, sodass der vom Autor gewünschte Anschein, es handele sich bei dem Roman um eine „lose Blättersammlung“ erreicht wird. Diese Gestaltung hat mir sehr gut gefallen, da ich mir gut vorstellen konnte, wie Matthew alles, was er geschrieben hat und was seine Beschreibungen verdeutlicht, auf einen Stapel legt. Denn das Verfassen seiner Geschichte scheint für Matthew seine ganz eigene Therapie zu sein, welche er mit den Worten „Ich muss aufpassen. Ich muss es sorgfältig auspacken, nach und nach, damit ich es schnell wieder zusammenfalten und einstecken kann, falls es mir zu viel wird.“ (S.19) beginnt und als symbolischen Akt in Form einer Blättersammlung in der Psychiatrie zurücklässt.

 

Matthew richtet sich in seiner Erzählung ganz bewusst (und nicht immer freundlich) an den Leser und offenbart dabei einen großen Teil seiner Psyche („Das ist mein Leben. Ich bin neunzehn Jahre alt, und das Einzige, worüber ich in meinem Leben frei bestimmen kann, ist diese Geschichte und wie ich sie erzähle. Allein schon deswegen will ich es nicht vermasseln. Es wäre nett von Ihnen, wenigstens zu versuchen, mir zu vertrauen.“ S.75).

Der Leser erlebt einen klugen und sensiblen Protagonisten, der durch einen schrecklichen Schicksalsschlag und dessen Nachwirkungen aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Bereits der erste Absatz dieses Romans hat mich für ihn eingenommen, obwohl aus diesem kein unbedingt freundlicher, zugänglicher Mensch hervorgeht. Matthew macht häufig Gebrauch von Ironie, manchmal wird er sogar etwas zynisch, verhält sich ungerecht und dann wieder selbstlos. Häufig wirkt Matthew sehr abgeklärt und scheint Herr seiner Sinne zu sein (im Gegensatz zu den „Spinnern“, wie Matthew sie bezeichnet, in der Psychiatrie). Andererseits zeigt sich zwischenzeitlich immer wieder, wie Matthew durch seine Krankheit den Sinn für die Wirklichkeit verliert. Er ist zwiegespalten in seinen Empfindungen und seinem Verhalten.

 

Durch die dargestellte Persönlichkeit Matthews und dessen Verhalten gelingt es Nathan Filer sehr nachdrücklich dem Leser einen Eindruck von der psychischen Erkrankung Schizophrenie zu vermitteln, der bei mir einige falsche Vorstellungen abgelöst hat. Auch werden der Alltag in der Psychiatrie und das Leben mit einer psychischen Krankheit sehr eindrucksvoll wiedergegeben. Matthew beschreibt sein Leben als „ein einziges Cut and Paste“, welches durch die formale Gestaltung hervorgehoben wird, denn häufig werden ganze Absätze mehrere Male im Laufe des Romans wiederholt, sodass die Eintönigkeit von Matthews Leben deutlich wird. Diese gezielten Wiederholungen sind hier sehr gekonnt eingesetzt worden.

 

Gekonnt war für mich auch der Spannungsaufbau im Roman, obwohl man diesen zunächst gar nicht erwarten würde. Bis zum Ende des Romans bleibt die Frage offen, wie es zum Tod von Simon gekommen ist und warum Matthew sich die Schuld an diesem gibt. Nathan Filer schließt seinen Roman schließlich mit einem passenden Ende ab.

 

Abschließend kann ich sagen, dass es sich hier um einen sehr eindrucksvollen, unterhaltsamen, authentischen und berührenden Debut-Roman handelt, welchen ich gerne weiterempfehle. Ich hoffe auf weitere Romane von Nathan Filer!