Rezension

Eine Bahnfahrt ins Ungewisse

Aleph - Paulo Coelho

Aleph
von Paulo Coelho

Bewertet mit 3 Sternen

„Unser Leben ist eine einzige Reise, von der Geburt bis zum Tod. Die Landschaft verändert sich, die Menschen verändern sich, unsere Bedürfnisse wandeln sich, aber der Zug fährt immer weiter. Das Leben ist dieser Zug, nicht der Bahnhof. Und was du im Moment tust, hat nichts mit Reisen zu tun. Du wechselst lediglich die Landschaft, und das ist etwas vollkommen anderes."

Zitat, Seite 20

Ein Schriftsteller (scheinbar Coelho selbst) begibt sich auf eine große Reise. Er entscheidet sich zu einer Art „Lesereise“, auf der er mit der transsibirischen Eisenbahn von Moskau bis Wladiwostok 9288,2 km zurücklegt. Auf dem Weg durch Russland erhofft er sich, das verloren geglaubte Feingefühl für sein Leben wieder zu erlangen und dadurch erneut König „seines Reiches“ zu werden.
Vor Antritt der Reise trifft er auf die 21-jährige Stargeigerin Hilal, die sich ihm quasi aufdrängt. Während er sich anfangs noch von ihr bedrängt fühlt und ihre scheinbaren Gefühle für ihn nicht erwidern kann, bemerkt er, dass sie eine gemeinsame Vergangenheit verbindet.

Im einem Zeitloch in der Mitte eines Wagons geraten sie gemeinsam ins Aleph, einem Paralleluniversum, in dem es möglich zu sein scheint, in die Vergangenheit zu reisen. Man schenkt dem Schriftsteller die Chance, vergangene Momente Revue passieren zu lassen und für begangene Fehler Buße zu tun. Fehler, die auf seinem Leben lasten und die es ihm unmöglich machen, das Jetzt und Hier in seiner Ganzheitlichkeit zu erleben.
Je länger die beiden Reisenden miteinander unterwegs sind, desto inniger wird ihr Verhältnis. Ein Verhältnis, das ihnen nicht nur helfen wird, mit Vergangenem abzuschließen sondern auch ihren eigenen Weg zu finden.

„Ich liebe dich wie ein Fluss, der als kleines Rinnsal in einem Gebirge entsteht, der wächst und wächst und sich mit anderen Flüssen vereinigt, bis er so groß wird, dass er jedes Hindernis umfließen kann, um dahin zu gelangen, wohin auch immer er will.
Ich empfange deine Liebe und gebe dir meine. Nicht die Liebe eines Mannes für eine Frau, nicht die Liebe eines Vaters für seine Tochter, nicht die Liebe Gottes für seine Geschöpfe. Sondern eine namenlose Liebe, für die es keine Erklärung gibt, so wie auch ein Fluss seinen Lauf nicht erklären kann, sondern diesem nur folgt. Eine Liebe, die nichts erbittet und nichts gibt, die sich nur offenbart. Ich werde nie dein sein, du wirst nie mein sein, aber dennoch kann ich voller Überzeugung sagen: Ich liebe dich.“

Zitat, Seite 244
 

~°..Mein Fazit..°~

„Das Magische, das Außergewöhnliche ist immer präsent, aber zuweilen vergessen wir es und müssen uns wieder daran erinnern, indem wir beispielsweise den größten Kontinent der Erde von einem Ende bis zum anderen durchqueren. Wir kehren mit Schätzen beladen wieder zurück, die möglicherweise bald wieder vom Alltag begraben werden, und dann müssen wir irgendwann erneut aufbrechen, um sie zu suchen. Und genau das macht das Leben interessant: an Schätze und Wunder zu glauben.“

Zitat, Seite 290

Coelho ist für seine lehrreichen Geschichten bekannt. Seine philosophischen Zeilen schenken dem Leser oft mehr, als man es auf den ersten Blick vermutet. Mancher Satz braucht Zeit, um sich zu entfalten. Viele seiner Aussagen entpuppen sich als sinnvolle Lebensweisheiten und gesellen sich zu dir, um dich ein Stück deines Weges zu begleiten. Du findest sie derart faszinierend, dass du dich immer wieder dabei ertappst, sie dir aufs Neue durchzulesen. Ich bewundere Coelho für seinen beeindruckenden Lebenslauf; seine Neugierde, das Leben stets aufs Neue zu hinterfragen und für seine Lebenserfahrung. Dennoch kann und will ich nicht alles gutheißen, was Coelho tatsächlich schreibt.

Denn nicht jeder Satz in „Aleph“ erschloss sich mir in seiner vollen Logik. Coelho spricht viele Dinge an und lässt sie dennoch ungelöst im Raum stehen, was unweigerlich für Unverständnis und Verwirrung auf meiner Seite sorgte. Der Ausflug in die vergangenen Ereignisse des Schriftstellers überforderte mich an der ein oder anderen Stelle gewaltig. Das plötzliche Erwähnen vieler Details machte es mir unmöglich, den Dingen vollends folgen zu können. Das Aleph erschien mir irgendwie eine Spur ZU surreal, die Erlebnisse ZU spirituell.

Die Reise des Schriftstellers in „Aleph“ scheint Teil von Coelhos persönlicher Reise durchs Leben zu sein. Ob er sich nun tatsächlich selbst auf die Reise mit der transsibirischen Eisenbahn begeben hat, oder sie nur seine vergangene Suche nach dem Sinn des Lebens versinnbildlichen soll: klar wird, dass dieses Werk autobiographische Züge besitzt. Ich kann mich nur schwer bewusst FÜR oder GEGEN das Werk aussprechen. Kann sein, dass ich das “Aleph” nicht ganz verstanden habe; kann sein, dass Coelhos neuestes Werk von Grund auf nicht das Einfachste ist. “Aleph” bekommt daher letztendlich nur 3 von 5 schaukelnden transsibirischen Wagons.