Rezension

Eine Geschichte, die mich zwiespältig zurückgelassen hat

DECEMBER PARK - Ronald Malfi

DECEMBER PARK
von Ronald Malfi

Klappentext:
Im Herbst 1993 wird das beschauliche Städtchen Harting Farms in Maryland vom Verschwinden mehrerer Kinder erschüttert. Zunächst denken die Bewohner noch an Ausreißer, bis in dem großen, gespenstischen, umwaldeten December Park die erste Leiche eines Mädchens gefunden wird. Die Zeitungen sprechen vom Entführer als Piper, als Rattenfänger, wie in der Sage der Brüder Grimm, weil er gekommen ist, um die Kinder wegzulocken. Doch in den Schulgängen flüstern die Kinder noch viel düsterere Namen. Angelo Mazzone und seine Freunde entdecken eine Verbindung zu dem toten Mädchen und nehmen die Verfolgung des Mörders auf. Die fünf Jugendlichen schwören sich, der Schreckensherrschaft des Pipers ein Ende zu setzen. Doch was als mutiges Versprechen beginnt, entpuppt sich nicht nur als Odyssee in die Düsternis ihrer Heimatstadt und ihrer Bewohner, sondern auch als Selbsterfahrungstrip. In der Dämmerung ist auf den Straßen von Harting Farms jeder verdächtig, und jeder der Jungs könnte das nächste Opfer des Pipers sein. Dieser Coming-of-Age-Thriller ist Ronald Malfis persönlichster Roman, sein Magnum Opus, in das auch eigene Kindheitserinnerungen mit einflossen. Vergleiche zu Stephen Kings Es und zu Dan Simmons Sommer der Nacht drängen sich zwar auf, December Park ist jedoch frei von übernatürlichen Elementen, dennoch nicht minder schaurig.

Der Autor:
Ronald Malfi ist ein preisgekrönte Autor mehrerer Horrorromane, Krimis und Thriller. Im Jahr 2009 gewann sein Kriminaldrama Shamrock Alley einen Silver IPPY Award. Sein Schauerkrimi Die Treppe im See wurde 2011 von der Horror Writers Association als bester Roman nominiert und das Buch wurde mit dem Gold IPPY Award für den besten Horrorschocker ausgezeichnet. Sein Thriller December Park gewann 2015 den Berverly Hills international Book Award - Kategorie Suspense (Spannungsliteratur).
Malfis düstere Literatur hat besonders wegen seines fesselnden Schreibstils und seiner einprägsamen Charaktere Anklang unter Lesern aller Genres gefunden. Zurzeit wohnt er mit seiner Frau und seiner Tochter in der Chesapeake Bay, wo er bereits an seinem nächsten Buch schreibt.

Meine Meinung:
Schon lange fiel es mir nicht mehr so schwer, ein Buch zu bewerten, deswegen wird meine Rezension sicher dieses Mal länger und ausgefeilter, weil ich der Geschichte gerecht werden möchte und auch selbst herausfinden will, warum mir nicht alle Elemente in dem Buch gefallen haben, warum es für mich nicht immer stimmig war. Ich möchte auch hervorheben, was mir gut gefiel.

Wir schreiben den Herbst des Jahres 1993. Musik von Nirvana und Bruce Springsteen dudelt auf den Walkmans, man trifft sich zu Horrorfilm-Abenden im Juniper-Kino, raucht, die Luft ist erfüllt von Kühle und Tod.
Mitten in Nord-Amerika, im Städtchen Harting Farms, das an der Chesapeake Bay, der größten Flußmündung der USA liegt, geht ein geheimnisvoller Killer um. Den sogenannten "Piper", wie man ihn fortan betitelt, scheint eine mysteriöse, geradezu schattenhafte Aura zu umgeben. Jugendliche sind nach und nach verschwunden und ein Mädchen, Courtney Cole, wurde ermordet aufgefunden. Doch wo sind die anderen? Leben sie noch? Und warum findet man sie nicht?

Angelo Mazzone, 15, ein wenig rebellisch, sensibel, Schreibtalent und ein Junge, der durch seine Albträume erst lernen muss, seine wahren Sehnsüchte zu wecken und das, was ihn umtreibt, zu verarbeiten, ist ein sympathischer Charakter. Man mag ihn, fühlt mit ihm, auch wenn er manchmal zu Aktionen neigt, besonders fast am Ende der Geschichte, in denen man ihm mehr Klugheit zutraut, als die, die er an den Tag legt.

"Meine Züge waren dunkel und klassisch mediterran - nicht wie ein Filmstar, sondern auf die nachdenkliche Art, die man mit den jugendlichen Kriminellen aus Filmen der 1950er Jahre verbindet. Erwachsene sagten, ich sei äußerst höflich, zuvorkommend und aufmerksam, doch würde ich mein Potential nicht ausschöpfen."

Seine Freunde sind ebenfalls authentisch gezeichnet.
Peter ist der beste Freund von Angelo. Er kam mir sehr nachdenklich und besonnen vor. Wer ihn an seiner Seite hat, kann sich glücklich schätzen.
Michael ist ein Junge, der sich stets neu erfindet, Zahlenschlösser mit Leichtigkeit knackt und für jeden Spaß zu haben ist. Er hat einen derben Humor, der nicht nur die Freunde zum Schmunzeln bringt.
Und da wäre noch Scott, der ein Fan von Jason Vorhees ist, dem Killer aus "Freitag, der 13." Er kennt die Dialoge aus den Filmen auswendig und besitzt alle auf VHS.
Adrian zieht neu in die Stadt, gleich neben Angelo. Er ist ein schmächtiger Eigenbrötler, der perfekte Nerd und Außenseiter, den man als Leser bis zuletzt nicht richtig greifen kann. Eine Figur, die der Autor äußerst zwiespältig auftreten lässt, was wiederum zu Spekulationen führt.

Diese fünf sehr unterschiedlichen Freunde begeben sich selbst auf die Suche nach dem Piper, denn offenbar ist die Polizei nicht fähig, der einen oder anderen Spur zu folgen. Die Jungs aber schon.

"Erwachsene kennen nicht alle Geheimnisse der Stadt, all die Verstecke. Nicht so wie wir. Wir Jugendlichen wissen es, und das ist es, was wir in dieser Sache immer wieder einbringen, was die Bullen nicht können."

Und so beginnt der Wettlauf gegen die Zeit, der eigentlich keiner ist, denn die Geschichte ist langsam, fast träge, erzählt. Atmosphärisch dicht und doch oft erdrückend wirkt der Schreibstil, der sich einmal mehr in den kleinsten Details verliert. Manchmal ist das einfach wunderbar zu lesen, denn so taucht man als Leser in das Geschehen ein - wie in ein Meer, das voller Emotionen, Schilderungen und Auszügen aus dem Leben der Jugendlichen seine Wellen schlägt. Und dann bewegt sich die Handlung wieder nicht von der Stelle, was ich besonders am Anfang als eher lähmend empfand, denn die Jungs bekommen das gesamte Buch über Gehör. Man lernt sie ausreichend kennen, keiner kommt zu kurz.

Das Buch ist ein hervorragender Coming of Age-Roman, aber weniger ein Thriller, denn er legt viel mehr Wert auf das Leben der Freunde, und die Jagd auf den Piper ist zwar gegenwärtig, aber wenn man die Umschreibungen, Beschreibungen, das Leben an sich aus der Gleichung nimmt, geschieht herzlich wenig, was man als Route zu dem Mörder bezeichnen kann, die die Jungen etappenweise beschreiten.
Vereinzelt gab es spannende Szenen, die kurzzeitig für Beklemmung sorgten, in denen sich aber die heiße Spur für den nächsten oder übernächsten Tag verlor. Es gab ja die Ausgangssperre, und die Polizei ist auch noch da. Oder?
Denkt man, aber diese tritt eher fahrig auf.
Der Vater von Angelo ist so ein übernächtigter Cop, der immer viel zu arbeiten hat, kaum Zeit für seinen Sohn findet - und man fragt sich, was die Gesetzeshüter eigentlich im Verborgenen tun, und wie der Ermittlungsstand ist. Denn wenn man das Buch zuklappt, hat man das Gefühl, dass sie ihren Job äußerst schlecht gemacht haben. Und nicht nur man selbst ist der Meinung, sondern auch die Bewohner von Harting Farms, die ihre Kinder vermissen.

"December Park" ist ein typsisch amerikanisches Sittengemälde. Die Jungs rauchen, trinken, treffen sich, um Abenteuer zu erleben. Es gibt Süßkartoffeln und Horrorfilme in schwarz-weiß. Vater und Sohn lieben sich, haben sich durch einen besonderen Umstand aber nicht viel zu sagen. Das Schreckgespenst der Jungs lauert hier im Körper von Nathan Keener, der vor allem Angelo das Leben schwer macht. Er tötet gern Tiere und man sieht unwillkürlich das Bild vor sich, wie er zu Hause auf der Farm sitzt, eingekleidet in ein kariertes Hemd, Latzhosen und Gummistiefel. An der Wand alle möglichen Trophäen, draußen wartet der Pick up. Man reinigt mit Hingabe das Gewehr und raucht dabei.
Was ich vermisst habe, war, dass die Jungs sich gar nicht mit Mädchen beschäftigten. Tun das 15 oder 16-jährige denn sonst nicht? Um diese geht es hier so gut wie gar nicht, was ich aber nicht vermisst habe, mir fiel es nur auf.

Davon abgesehen hat das Ende zwar überrascht, insgesamt fehlte aber die eine oder andere Erklärung. Natürlich muss man als Leser nicht immer alles auserzählt wissen, dafür hat man die eigene Fantasie, aber mir fehlte es gerade hier, wo es doch eigentlich um den mysteriösen Piper ging, an Informationen. Gerade weil die Auflösung zweierlei bewirkte: Das Ende war relativ schnell erzählt, und ich war geradezu enttäuscht, weil die 500 Seiten durch kluge Verschachtelungen und Hinweise, die entweder auf die richtige Spur führten oder sich verloren, eben dieser Verbrecher gefangen werden sollte. Darum ging es, laut Buchbeschreibung.

Die Auflösung war hastig erzählt und insgesamt gab es zu viele Ungereimtheiten, denn plötzlich war die bedächtige Erzählweise nicht mehr zu finden.

Man kann die Sprache, das Kolorit des Buches mit den Romanen von Stephen King durchaus vergleichen.
Ein Abriss aus "Stand by me" und "Es", aber ohne "Es", dafür gibt es aber einen "Er", der für mich die ganze Geschichte mehr als nebulös und schattenhaft geblieben ist - was raffiniert aufgezogen war. Nur wirkte er am Ende nicht so schlau und listig, wie er mir die ganze Zeit vorkam. Deswegen habe ich mich auch gefragt, wie er die ganze Zeit so agieren konnte.
Das ist eine der vielen Fragen.

Was ich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass es dem Autor gelungen ist, so viele Verdächtige auftreten zu lassen, dass man als Leser bis zuletzt selbst nicht wusste, wer Freund oder Feind ist. Jeder schien dubios, jeder hätte es sein könnten. Robert Malfi spielt mit dem Leser, spielt auch mit seinen Figuren, denn sie erleben eine Zeit, in der sie erwachsener werden, mehr über sich selbst herausfinden und erkennen müssen, dass Albträume hin und wieder wahr werden, dass sich aber auch geheime Sehnsüchte erfüllen können.

Alles in allem hat mir "December Park" gefallen und wieder nicht gefallen. Ich stecke in einem Zwiespalt.
Der Wortschatz und die äußerst bildhaften Beschreibungen sind grenzenlos, ein schmückendes Beiwerk, das die Geschichte auferstehen lässt. Für mich war es - nachdem ich das Buch beendet hatte - zu viel, denn nicht nur allein die ausführlichen Beschreibungen eines Schauplatzes machen für mich ein gutes Buch aus. Es fehlte an Nervenkitzel, der mitriss, denn immer wenn es dramatisch wurde, wurde die Szene abgeblendet. Man hörte den Regisseur förmlich rufen: "CUT!"
Wer sich nicht daran stört, dass der Fokus eher auf den Jugendlichen liegt, der ist mit diesem Buch gut bedient.

3 Sterne.