Rezension

Eine klangvolle Zeitreise

Die Radioschwestern -

Die Radioschwestern
von Eva Wagendorfer

Bewertet mit 5 Sternen

Ich habe schon als Kind regelmäßig Radio gehört und schalte noch heute gerne meine Lieblingssender ein, daher waren es beim vorliegenden Werk speziell das Setting und der geschichtliche Rahmen, die mich besonders gereizt haben.

Vorab: Eva Wagendorfers historischer Roman, der den Auftakt zur Radioschwestern-Saga bildet, hat mich in vielerlei Hinsicht begeistert! Es war total interessant, mehr über die damalige (ziemlich arbeitsaufwendige) Produktion von Hörspielen sowie generell über die Anfänge des Rundfunks zu erfahren!

Nach einem gemütlichen, eher ruhigen Einstieg in die Handlung, fesselte mich die Geschichte zunehmend, entwickelte eine regelrechte Sogwirkung und ließ mich tief in die damalige Zeit eintauchen – zum einen lag dies gewiss an den lebensnah angelegten Figuren (- überaus sympathische Hauptprotagonisten und interessante Nebencharaktere -) und den authentischen Dialogen, zum anderen habe ich, obwohl ich recht häufig historische Romane lese, selten eine dermaßen intensive, in beinahe jeder Szene deutlich werdende Recherche erlebt, mit der die Autorin den Alltag der späten Zwanziger Jahre lebendig werden lässt und uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit schickt. Von den Goldenen Zwanzigern liest man regelmäßig, aber im Gegensatz zu anderen Büchern dreht sich hier nicht alles um schillernde Partys und verruchte Nachtlokale. Ob Lebensumstände (Wohnen, Arbeiten, Hobbys … ), gesellschaftliche Ansichten, Konsumgüter, Ausflugsziele, historische Ereignisse, technische Entwicklungen … alles ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet worden und fügt sich wie selbstverständlich in die Story ein.

Eine Frau sollte sich hauptsächlich um den Haushalt und ihre Kinder kümmern, anstatt in einem beruflichen Umfeld zu arbeiten, das bisher den Männern vorbehalten war - mit diesem veralteten Denken sehen sich Gesa, Margot und Inge regelmäßig konfrontiert. "Sie versuchten ihren eigenen Weg zu gehen, stolperten aber ständig über Personen, die sich einmischten und ihnen ihren Willen aufdrücken wollten. Als ob der mehr zählte als der ihre." Margot hat es als Cellistin in der "von männlichem Ego durchtränkten Rundfunkkapelle" nicht leicht, Gesa muss sich mit einer biestigen alternden Schauspiel-Diva und deren unerträglichen Starallüren herumschlagen, und die lebenslustige, nie um einen Spruch verlegene Inge droht daran zu verzweifeln, dass sie trotz ihres immensen gesanglichen Talents keinen lukrativen (und vor allem seriösen) Plattenvertrag ergattern kann. Doch die drei Freundinnen halten an ihren Träumen fest. Erzählt wird aus mehreren Perspektiven, wobei Gesas Sichtweise stets mein Anker in der vielschichtigen Story war.

Frankfurt/Main, 1926: Radioempfang ist ein Luxus; er bietet bequem ein Fenster zur Welt, ohne dass man dafür das eigene Wohnzimmer verlassen muss. Für Gesa, die intuitiv spürt, dass dem neuen Medium die Zukunft gehört, geht ein Traum in Erfüllung, als sie bei der SÜWRAG, der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG, eine Rolle in einem großen Hörspiel ergattert. Sie hat – aus gutem Grund – alle Zelte hinter sich abgebrochen und ahnt nicht, dass in Frankfurt neben ihrem Traumjob auch neue Freundschaften und die Liebe auf sie warten. Ich staunte, wie nach und nach aus der zaghaften jungen Frau eine selbstbewusste, schlagfertige Person wurde, die sich nicht unterkriegen lässt. "Bravo", wollte ich ihr zurufen, als sie sich in Dialogen mit anderen Charakteren wortgewandt behauptete und mit ihren klugen Aussagen genau ins Schwarze traf. Nicht nur im beruflichen Umfeld, auch gegenüber ihren Freundinnen setzt sie auf Ehrlichkeit. Margot und Inge mochte ich ebenfalls, wobei Margots sanftes Wesen mir einen Tick besser gefallen hat als Inges Lebenswandel. Meine Lieblingsfigur des Romans war allerdings der männliche Hauptprotagonist und Intendant der SÜWRAG, Albert Bronnen: attraktiv, nahbar, voller innovativer Ideen und sehr engagiert. Dank ihm weht ein frischer Wind durch den Sender! Insbesondere sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn stieß bei mir auf Gegenliebe und sein Humor ließ mich oft schmunzeln. So bodenständig und solide er ist, so schelmenhaft wirkt Albert teilweise. "Die zahlreichen unterschiedlichen Mitarbeiter im Sender, einschließlich der Herren Aufsichtsräte, kamen ihm manchmal vor wie ein Haufen Hühner. […] Ein jeder plusterte sich auf, buhlte um Aufmerksamkeit und hielt sein Ei für das allerwichtigste."

Der Schreibstil der Autorin ist herrlich bildreich, mal emotional, mal informativ, aber immer äußerst angenehm; gelegentlich fließt sogar etwas Dialekt mit ein. Jedem Kapitel sind Radionachrichten in Form einer Kurzmeldung vorangestellt, eine kreative, sehr zum Gesamtwerk passende Idee!

Fazit: 5 Sterne

Dieser Roman sprüht vor Lebenslust. Trotz einiger ernster Momente wirkte die Geschichte nie bedrückend, hinterließ vielmehr einen beschwingten Nachklang bei mir. Der Auftakt der Radioschwestern-Saga hat mir sehr gut gefallen und ich freue mich schon jetzt auf Band 2, der im März 2023 erscheinen soll!