Rezension

Eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, jahrelanges Schweigen und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Bei euch ist es immer so unheimlich still -

Bei euch ist es immer so unheimlich still
von Alena Schröder

Bewertet mit 4 Sternen

Wenige Monate vor dem Fall der Mauer kehrt Silvia Borowski aus Berlin in ihre schwäbische Heimatstadt Ildingen zurück. Mit im gestohlenen Polo ihres Mitbewohners hat sie ihre wenige Wochen alte Tochter Hannah, von der ihre Mutter bisher nichts weiß. Evelyn nimmt die beiden stoisch bei sich auf ohne viele Fragen zu stellen.
Evelyn ist eine "Neigschmeckte" und hat sich in ihrer neuen Heimat Ildingen nie wohlgefühlt. Auch als sie den einheimischen Karl in den 1950er-Jahren heiratete, änderte das wenig an ihrem Gefühl der Ausgeschlossenheit. Ihr Unzufriedenheit verstärkt sich, als sie nach der Geburt ihrer Tochter Silvia ihren Beruf als Ärztin aufgeben muss und nur noch "Frau Doktor" ist, weil ihr Mann Chirurg ist. Zu ihrer Tochter findet sie keine richtige Nähe und fühlt sich unter den scharfen Augen der Kleinstadt als schlechte Mutter, wenn Silvia nicht den Erwartungen entspricht.

"Bei euch ist es immer so unheimlich still" erzählt die Geschichte von Evelyn in den 1950er-Jahren bis in die 1970er-Jahre, als sie ihren Beruf aufgibt und eine Familie gründet und von ihrer Tochter Silvia, die 1989 nach langen Jahren der Abwesenheit in ihre Heimat zurückkehrt, wo eine Aussprache mit ihrer Mutter überfällig ist. Der Roman schließt damit die Lücken des Bestsellers „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“, in der die Enkelin Hannah ihre Familiengeschichte erforscht, kann jedoch auch alleinstehend und ohne Vorwissen des Vorgängers gelesen werden.

Evelyn und Silvia sind gegensätzliche Charaktere. Während Silvia die rebellische Ausbrecherin ist, die in Berlin in einer WG in einem besetzten Haus ein neues Leben angefangen hat und alle Brücken in die Heimat abgebrochen hatte, ist Evelyn diejenige, die stets den schönen Schein einer Vorzeigefamilie bewahren wollte, aber darüber nie glücklich geworden ist.

Im Wechsel zwischen den Zeitebenen erfährt man mehr über das Mutter-Tochter-Verhältnis und warum es Silvia so schwer gefallen ist, nach Hause zu kommen. Die Vergangenheit in den 1950er- und 1960er-Jahren beleuchtet dabei Evelyns Rolle als Hausfrau und Mutter und Silvias Kindheit in der Kleinstadt, in der sich auch sie nie wirklich zu Hause fühlte.
Evelyns persönliches Unglück und ihre Ansprüche an sich selbst und andere sind mit ursächlich für das angespannte Verhältnis zu ihrer Tochter, was letztlich auch zum Bruch der Beziehung zwischen ihnen führte. Silvia fühlte sich von ihrer Mutter nie wirklich geliebt und litt darunter, ihren Erwartungen nicht zu genügen. Nur langsam nähern sich die beiden Frauen nach Jahren der Trennung einander an.

Die Geschichte ist nicht nur durch den Wechsel der Erzählebenen abwechslungsreich erzählt. Sie fängt zudem durch liebevolle alltägliche Details über Musik, Fernsehen oder Kleidung den Zeitgeist der geschilderten Jahre ein und macht sie durch den nicht aufdringlichen Dialekt, der in Dialogen in der fiktiven schwäbischen Kleinstadt durchsticht, lebensecht und lebendig.

"Bei euch ist es immer so unheimlich still" ist ein Zitat einer Nachbarin in dem Buch, die sich sorgt, dass bei den Borowskis gar kein Babygeschrei zu hören ist, als Silvia neu geboren ist. Der Titel passt perfekt zum Inhalt des Romans, steht er doch für die Unfähigkeit, Worte zu finden, die Angst, Dinge beim Namen zu nennen und das jahrelange Schweigen zwischen Mutter und Tochter.

Wie schon „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ ist auch "Bei euch ist es immer so unheimlich still" ein kraftvoller Familienroman über Generationen von Frauen, dem Muttersein und der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um Verborgenes zu lüften und Konflikte zu klären. Auch wenn ich den Vorgängerroman als bedeutungsschwangerer und gehaltvoller empfunden habe, konnte mich auch der Nachfolger gut unterhalten.