Rezension

Einzigartiger historischer Roman über die unbekannte Muse der Maler-Legende Picasso

Madame Picasso - Anne Girard

Madame Picasso
von Anne Girard

Bewertet mit 5 Sternen

Madame Picasso ist ein ganz wunderbares Buch. Dies liegt vor allem an Anne Girards außergewöhnlichem Erzählstil, der die aufregende Zeit und die ganz spezielle Atmosphäre im Paris der Belle Époque exzellent einfängt und die Figuren eindrucksvoll porträtiert. Das faszinierende Leben der Bohème wird äußerst lebendig dargestellt, so dass man als Leser das Gefühl hat, mitten im Geschehen zu sein. Der Roman ist sehr unterhaltsam, anregend, geistreich und fesselnd bis zur letzten Seite und für mich daher ein absolutes Must Read.

Ein Provinzmädchen in Paris

Die Geschichte beginnt in Paris im Jahre 1911. Die junge Eva Gouel flieht aus dem provinziellen Vincennes in die schillernde französische Metropole, weil sie den Mann, den ihre Eltern für sie ausgesucht haben, nicht liebt und auf keinen Fall heiraten möchte. Sie freundet sich mit Sylvette, einer Tänzerin des legendären Moulin Rouge, an, die ihr dort eine Stelle als Näherin verschafft. Anfangs von den Tänzerinnen und Schauspielerinnen dort noch misstrauisch beäugt, steigt die erfinderische, kreative Eva schnell zur Kostümschneiderin auf und freundet sich sogar mit der als schwierig geltenden Schauspielerin Mistinguett an.

Schicksalhafte Begegnung

Auf einer Kunstausstellung im Salon des Indépendants begegnet sie Picasso, der kurz vor seinem künstlerischen Durchbruch steht, zum ersten Mal und ist fasziniert von seiner Ausstrahlung. Auch Eva geht Picasso nicht mehr aus dem Kopf, und er will sie unbedingt wiedersehen. Nach einem zufälligen Treffen kommt es dann zu einer gemeinsamen Nacht. Doch zu ihrer großen Enttäuschung muss Eva feststellen, dass es bereits eine Madame Picasso gibt: Fernande Olivier, schön, sinnlich und vor allem sehr besitzergreifend, denn obwohl sie nicht mit Picasso verheiratet ist, beansprucht sie diesen Titel mit einer absoluten Selbstverständlichkeit. Ihre Beziehung mit Picasso steckt jedoch in einer Krise, was Fernande aber nicht sehen will.

Die aufregende Welt der Bohème

Trotz aller Hindernisse und Widrigkeiten werden Picasso und Eva - zunächst heimlich - ein Paar, und Eva taucht in eine völlig neue Welt ein. Sie lernt das Who is Who der Pariser Bohème kennen, z.B. Picassos enge Dichter-Freunde Guillaume Apollinaire und Max Jacob, seine berühmten Maler-Kollegen Henri Matisse und Georges Braque und insbesondere die amerikanische Schriftstellerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein und ihre Lebenspartnerin Alice B. Toklas, in deren Salon in der Rue Fleurus sich alles trifft, was in der Künstlerszene Rang und Namen hat. Als Eva und Picasso ihre Beziehung schließlich öffentlich machen, schlägt ihnen jedoch von allen Seiten Ablehnung entgegen, denn man sieht darin vor allem einen Verrat an Fernande. Zudem passt die bodenständige Eva nach Meinung vieler so gar nicht zur Malerikone Picasso, der für seine zahlreichen Frauengeschichten bekannt ist. Während Eva sich dies sehr zu Herzen nimmt, zeigt sich Picasso unbeeindruckt. Eva inspiriert ihn zu neuen Werken, und gemeinsam mit ihr bereist er wunderschöne Orte in Südfrankreich und Spanien. Nach und nach wird Eva von Picassos Umfeld als neue Madame Picasso akzeptiert, und sie gewinnt an Einfluss. Doch dann schlägt das Schicksal unerwartet und unbarmherzig zu und ihre Welt zerfällt in Scherben...

Der Mythos Picasso

In Madame Picasso zeigt uns Anne Girard durch die Augen ihrer Protagonistin Eva die vielen Facetten des Malergenies und skizziert so nicht nur das Porträt eines Künstlers, der die Malerei revolutionierte und zum Mythos wurde, sondern auch den lebenslustigen, zutiefst abergläubischen und oft zweifelnden Menschen, der dahinter steckt und dessen private Schicksalsschläge ihn prägten. Dies ist ihr meisterhaft gelungen.