Rezension

Emanzipation und Exekution

Sternensommer - Sabrina Qunaj

Sternensommer
von Sabrina Qunaj

"Er hat einfach kein Herz zu verschenken. 
Es ist, als hätte er es irgendwo... 
da oben bei den Sternen versteckt."

Vorneweg muss ich einmal etwas fest halten, ist Euch auch schon aufgefallen, das der Trend zum ‚passenden’ Cover geht? Ich weiß das das nicht immer so war und ich es immer bemängelt habe, das ein hübsches Bild auf einem Bucheinband nichts mit dem Inhalt zu tun hat; noch schlimmer wenn der Klappentext auch unstimmig ist.
Sternensommer macht in der Hinsicht alles richtig, das was der Klappi andeutet hält das Buch auch. Mehr noch ich musste auf der Höhe von ungefähr 60% von 92% das Lesen absichtlich unterbrechen. Allerdings nicht weil es unlesbar wurde, sondern weil man bei einem gewissen Grad der Spannung einfach mal Luft holen sollte und diese auch genießerisch auf sich wirken lassen sollte.

"Ich halte diese Schnepfe nicht aus. Keinen Tag." "Gerade die Reichen sind meistens die Ärmsten. Besonders die Kinder."

Natürlich geht es in diesem Buch um eine Romanze. Wir haben eine recht junge Zielgruppe, was mich aber in keinster Weise davon abhält zu behaupten das es bei den beiden Protagonisten ‚Dilia‘ (16 Jahre) und ihrem Mitschüler ‚Emrys‘ um einen ’wie werde ich erwachsen’ und ‚wie verliebe ich mich‘ Plot geht. Vielmehr bin ich zu der Überzeugung gelangt, das es sich hierbei mehr um eine Emanzipationsgeschichte handelt. Und nur um das klar zu stellen Emanzipation ist vielleicht ein Teil der Gleichung des Erwachsenwerdens aber ist ungleich Feminismus. Vielmehr geht es um die Freiheitsfindung, das Abspalten von Kinderrollen, die Ich- Findung und dem Versuch dem alltäglichen Wahnsinn zu entkommen. Und diesen Gang schreiten sowohl Dilia und Emrys als auch Emrys jüngerer Bruder Freddy entlang.

Auf bemerkenswerte Weise werden hier einmal mehr Klischee- Schüler aufgegriffen, verwöhntes Gör, zynischer Nerd und kindlicher Schlaumeier. Auch die Elternrollen sind klar in Schubladen verpackt: Dilias Vater ist der knallharte Buhmann, seine momentane Geliebte Shelly, die eifersüchtige Stiefmutter; Ed der Papa- Bär und Laura so eine typische: ‚Kind, du musst was essen!‘- Mama. Dann gibt es noch einige weitere Charaktere die schnatternd, nervend, hilfsbereit, umsorgend oder eben parasitär und als Exekutive auftreten.

"Wieso? Weil sie jede Woche ein neues Pony kriegen?(...)" "Weil sie so viele Ponys (...) bekommen wie sie wollen."

Diese Geschichte ist ein Tanz. Und um mal ausnahmsweise gleich zum Ende zu springen: Denn genau dort, nämlich in den Epilog, hätte ein solcher hingehört. Daher lass ich das Nachspiel unter den Tisch fallen, denn das war mir dann doch zu romantisch verklärt, obwohl er noch zwei, drei lustige Pointen hatte. „Vermisst du auch die Leuchtreklamen?“, „Für Spiderman ist man nie zu alt!“ (90%)
Aber anders als bei anderen Geschichten ist diese hier rund und spielt zum Großteil der erzählten Zeit im Camp ‚Sunshine‘ in den USA. Das die Puppe, das Prinzesschen, Dilia ausgerechnet dahin verfrachtet wird, statt ihre Sommerferien auf Hawaii zu verbringen, verdankt sie natürlich ihrem Vater und es passt ihr natürlich gar nicht. Allerdings wartet die Jugendliche mit einem erstaunlich sturen Kopf auf und ist bereits so fest in ihre Rolle eingeschnürt, das ihre arrogante Art nur schwer zu knacken ist. Tja wäre da nicht die Liebe. Und dreimal darf man raten was man von einer Sommerromanze erwarten darf. FALSCH gedacht. Jawohl richtig gelesen, es ist NICHT die Liebe zu diesem permanent bevormundenden Intelligenzbestie, der seine verdammten Scherze nicht lassen kann, die Dilia auftauen lassen. Eigentlich ist es ein Piratenschiff das von Indianern erobert wird…- denkt mal darüber nach!

Also bis hierhin eine ganz normale Geschichte. Bis einem der Mond auf einmal auf den Kopf fällt. Sehr richtig gelesen. Unerklärliche Phänomene: Lichtsäulen, graue Himmelskörper und Wesen die Mädchen als Wirte benutzen: Borito…doxias, nein Botox…, nee Byradoroxe… oder Byradoroxi? Gibt es für so was überhaupt eine Mehrzahl? Jedenfalls fällt diese Romanze für mich nicht unter das Genre Jugendbuch. Es ist schlichtweg ein Science Fiction. Und das ist auch gut so, denn E.T will nach Hause… ehm Emrys mein ich, will Heim, seine ganze Familie lebt im Exil und hat gut lachen, denn sie könnten ja jederzeit einfach abhauen, wenn es auf der Erde zu ungemütlich werden könnte. Die Sache hat nur einen nicht ganz unbeträchtlichen Haken, Klein Freddy darf nämlich das Tor- hier: die Schleuse, nicht betreten. Und hier beginnt seine Emanzipation, während die größeren Kinder pubertäre Probleme haben und sich fragen wie man denn jetzt richtig das erste Mal küsst, will er mit aller Macht seinen Platz im Universum einnehmen, ungeachtet des Drucks welcher auf so zarte Kinderschultern einfach nicht gehören sollte.

"Was glaubst du wäre ihr lieber: ein Pony oder Zeit mit ihrem Vater?." "Ein Cabrio. Ach nein,- das hat sie ja schon."

Tatsächlich kommt diese Geschichte ohne einen Bösen aus. Gut ja, so’n grauer Wachhund kann schon echt fiese Bisswunden hinterlassen, wenn man ihm nicht grad Salzwasser ins Gesicht spritzt aus einer ‚Super Soaker’, aber seien wir ehrlich, wie kann man einem Sternensinger böse sein, der es zutiefst bedauert einen eventuell im Morgengrauen umbringen zu müssen und dabei auch noch logisch rezitiert: Zum Wohle aller, ist ein kleines Opfer tragisch aber notwendig. Autorin Qunaj hat es außerordentlich elegant geschafft mich davon zu überzeugen, das hier niemand jemanden wirklich töten WOLLTE- aber kann ja dann doch mal vorkommen- Hauptsache man stirbt mit einem Han Solo verdächtigen kecken Spruch auf den Lippen. Das ist beinah schon episch.

Mir konnte Dilia nichts vormachen, ich fand sie von Anfang bis Ende unausstehlich. Klar, tut es mir Leid, dass sie die Entwicklung absolviert und vom Schwan zur Putzfrau wird nur um dann irgendwie in eine Art extraterrestrischen Adelsstand erhoben zu werden. Da ist eine ganze Rasse hinter einem her, bereit sie zu morden und dann trauen die sich doch nicht mehr zu mucken und heißen sie euphorisch in ihrer Mitte willkommen? Diese Wendung konnte ich nicht guten Gewissens nachvollziehen. Deshalb ist es absolut schade, das man jetzt nicht weiß was der Oberdirigent tun wird. Es ist gut, Fragen offen zu lassen, aber in diesem Fall finde ich es mehr als unbefriedigend, immerhin war das doch der Kern der ganzen Geschichte. Und diese ‚Du hast nichts gesehen!‘ Gabe (*mit Hand vor Gesicht rumwisch*) war auch etwas stark und fies. Auch hier gab es eine Andeutung bezüglich Begegnungen vor dem 16. Lebensjahr, die ich gern erfahren hätte. Absolutes No- Go: Mach’ doch keine Hinweise ohne sie zu nutzen.

Fazit:  

Wenn ich aus dieser Geschichte eines gelernt habe, dann das ‚ich die Tatsache, mit einem Alien zwischen den Sternen hin und her zu fliegen hinnehmen kann. Aber dass das alles mit Mathematik zu tun hat, mich von den Socken haut.‘
Dilia: „Wer rechnet denn mit so etwas?“ (49%)
Die Charaktere beweisen viel Charme und Witz; haben mich ordentlich staunen lassen. Sie sind alle für ihr Alter schon recht weit und sehr entschlossen. Ich hätte Emrys und Dilia stundenlang zuhören können, wie sie beide nebeneinander an die Rakete gefesselt waren und sich gestritten haben: ‚Einfach rennen, hast du gesagt. Hat ja prima funktioniert!‘ Ich konnte mir sie bildlich vorstellen, zeternd und motzend. Leider blieb diese sagenhafte Heimatwelt mir aber zu blass und auch über die Sternensinger erfährt man nur das aller nötigste. Es geht letztlich um das Herz, die Musiknoten und die Mathematik, was eine sehr merkwürdige Konstellation ist und ich hätte mir gewünscht ein paar Beispiele für diese Gleichungen zu bekommen- nicht weil ich gut in Mathe bin, aber weil es hier dazu gehört hätte!
Mein persönliches Highlight war Emrys Aussage das ‚Unsterblichkeit‘ nur Schmerz beinhaltet und das es jetzt echt doof wäre, wenn Dilia das Zeitliche segnen würde, weil er keine Ahnung hätte was dann mit der Galaxie geschehen würde, wenn sein gebrochenes Herz aus dem Takt gerät. Eine sehr schöne Liebeserklärung. Knackpunkt: Am Ende aber wird genau diese zarte Vorstellung von ‚Unsterblichkeit‘ wieder aufgehoben und ins Gegenteil verkehrt um ein ‚happily EVER after‘ daraus zu basteln.

Ein paar Worte zum Genre in diesem Fall. Ich kann nicht verstehen, weshalb dieses Buch unter der Rubrik Fantasy eingeordnet ist, wo es eindeutig wissenschaftliche Science Fiction mit dem Element der Musik beinhaltet. Romantik lass ich mir gefallen.

Ein ‚mit überdimensionalen Wattestäbchen verteidigtes‘ Urteil: gut!