Rezension

Empfehlenswerter historischer Roman

Der dunkle Erbe -

Der dunkle Erbe
von Tom Melley

Bewertet mit 5 Sternen

„..Er kannte den Inhalt der Nachricht, noch bevor er das Siegel brach, das wie eine dunkler Blutfleck die Seiten des Pergaments verschloss. Seine Hände zitterte...“

 

WilliamMashall befindet sich im April des Jahres 1199 in Rouen, als ihn die Nachricht vom Tode König Löwenherz` erreicht. Nun sind schnelle Entscheidungen vonnöten. Zwei Männer werden nach der Krone greifen. Das ist zum einen John, Richards jüngerer Bruder, zum anderen Arthur, Richards 12jähriger Neffe.

Der Autor hat einen fesselnden historischen Roman geschrieben. Das Buch zeugt in jeder Zeile von der ausführlichen und gründlichen Recherche.

Der Inhalt ist aber nur das eine. Was mich begeistert, ist der Schriftstil. Im Gegensatz vieler andere historischer Romane strotzt er vor trockenen Humor, Sarkasmus und Spitzzüngigkeit.

 

„...Der Hof des Königs war eine Schlangengrube, in der die meisten Schlangen zischten, bevor sie zubissen. Ein diesbezüglich feines Gehör war überlebenswichtig...“

 

Hinzu kommt, dass die einzelnen Kapitel aus der Sicht verschiedener Personen erzählt werden. Das ergibt ein vielschichtiges Bild der Ereignisse.

So wird die Umgebung von König Richard charakterisiert. Angeblich hat der König auf dem Sterbebett John zu seinem Nachfolger bestimmt. William Marshall will sich dafür einsetzen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht. Im Prinzip hat England die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zu John komme ich später.

Herzog Arthur ist ein unreifes Bürschchen, das am Rockzipfel seiner resoluten Mutter hängt und sich von König Philipp Hilfe gegen John erwartet. Dabei merkt er nicht, wie geschickt er über den Tisch gezogen wird. Arthur überrascht mich erst kurz vor seinem Tod. In dem Moment erweist er sich als Mann mit Prinzipien. Die Kerkerhaft scheint ihn nicht gebrochen sondern stark gemacht zu haben.

John braucht für seine Wahl die Stimme der Barone. Das wird für ihn teuer. Er muss sie kaufen. Damit das überhaupt gelingt, bleibt ihm nur die Loyalität von Marshall.

 

„...Viele Barone hingen ihre Fahnen in die Richtung, aus welcher der Wind am stärksten wehte und den Geruch von Silber und Gold mit sich trug...“

 

John ist unberechenbar. Ein bester Freund ist der Alkohol. Einen gewissen Einfluss auf ihn hat nur seine Mutter Eleonore von Aquitanien. Doch die ist nicht mehr die Jüngste. Aber sie kennt ihren Sohn genau. Deshalb vertraut sie nicht ihm das Silber an, das für die Bestechung der Barone gebraucht wird, sondern William Marshall.

Der Autor hat hier zwei völlig gegensätzliche Männer einander gegenübergestellt. William ist dafür bekannt, dass er sein Wort hält. Er ist seiner Frau treu, ein exzellenter Kämpfer und ein strategischer Denker. Er geht Entscheidungen mit kühlem Kopf an. Johns feine Nadelstiche lässt er an sich abblättern. Doch ein guter Freund warnt ihn:

 

„...Manche hungern nach der Wahrheit, mögen jedoch ihren Geschmack nicht, wenn sie vor ihnen auf dem Teller liegt. Ihr solltet nicht zu ihnen gehören...“

 

Es sind nicht nur Johns fatale politische Entscheidungen, die ihr die Normandie kosten. Er versteht es auch ausgezeichnet, Männer, die ihn den Sieg beschert haben, vor den Kopf zu stoßen und zu beleidigen. Ein walisisches Sprichwort lautet:

 

„...In drei Dingen mag ein Mensch sich täuschen: in einem Mann, bis er ihn kennt, in einem Baum, bis er ihn fällt, und in einem Tag, bis er vorüber ist...“

 

Zwei historische Karten, ein Personenverzeichnis und ein inhaltsreiches Nachwort ergänzen das Buch.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es erlaubt einen Einblick in ein Stück Geschichte, bei der nicht die Kriegsereignisse im Vordergrund stehen, sondern das Tun und Handeln mächtiger und weniger mächtiger Männer und Frauen. Der Autor erzählt nicht nur, was geschieht, sondern vor allem, warum es geschieht.