Rezension

Erich Kästner für Unerschrockene!

Der Gang vor die Hunde - Erich Kästner

Der Gang vor die Hunde
von Erich Kästner

Bewertet mit 5 Sternen

Dies ist ein Kästner für Erwachsene!

„Machthunger und Geldgier sind Geschwister, aber mit mir sind sie nicht verwandt“, sagt Jakob Fabian, er ist Kästners tragischer Beobachter der Auswüchse und Paradoxien einer Gesellschaft, in der sich die Kunst prostituieren, sich die Kreativität den Forderungen des Formalismus unterwerfen muss – um etwas zu beissen zu haben, in der das Kleinbürgertum verelendet, die Arbeitslosigkeit die Menschen entweder in den Suizid oder die Revolution treibt und sich auf der einen Seite der Waagschale, die Sitten in Auflösung befinden, andererseits humorfrei jede Abweichung von der Norm Empörung hervorruft.

Der studierte Jakob Fabian will Distanz halten zu so einer Welt, abwarten, bis sich die Anständigkeit durchsetzt, erst dann will er seine Verweigerungshaltung aufgeben. Da wird er durch die Liebe kurzfristig in Versuchung geführt. Doch es ist zu spät, zehn nach zwölf, er hat zu lange gezögert.

Erich Kästners Ironie, sein teilweiser Sarkasmus wird oft als Humor verkannt, ist jedoch purer Gesellschaftspessimismus, paradoxerweise begleitet von einer nicht totzuschlagenden Hoffnung auf Besserung, obwohl Mensch auf Schritt und Tritt doch eines Besseren belehrt wird. Der Mensch lebt in einer dem Selbstzweck dienenden sinnentleerten Mühle (Maschinerie), die ihn seiner Identität beraubt.

„Der Gang vor die Hunde“ ist trotz seiner Geschichtsbezogenheit vor der großen Rezession der frühen 30er Jahre aktuell, scheint die heutige Gesellschaft abzubilden, denn der Mensch bleibt über Jahrzehnte, ja über Jahrhunderte hinweg, das, was er ist: Mensch im Schlechtesten und im Besten, immer haarscharf beieinander.

Fazit: Emotionen weckt dieser Roman nicht, er ist auch trotz Wortwitz nicht lustig. Er ist eine Bestandsaufnahme. Doch wer Erich Kästners Kinderbücher liebt(e), muss auch diesen Kästner lesen. Denn „Der Gang vor die Hunde“ ist ein echter, grossartiger Kästner, ein Kästner für Erwachsene. Kästners Gespür für Bilder, für groteske Zusammenstellungen, die Fähigkeit, zeitlose Wahrheiten lakonisch auf den Punkt zu bringen ist ganz grosse Literatur.

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 04. April 2014 um 19:23

Ist eine interessante, aussagekräftige Rezension - klingt so, als sollte ich das Buch in näherer Zukunft lesen.