Rezension

Erwachsenwerden in der Nachkriegszeit - Mehrperspektivisch erzählter Jugendroman, der viele Erzählanlässe bietet und nachhaltig in Erinnerung bleibt!

Heul doch nicht, du lebst ja noch -

Heul doch nicht, du lebst ja noch
von Kirsten Boie

Bewertet mit 5 Sternen

Nachdem mich in meiner Jugend die Bücher von Klaus Kordon und Gudrun Pausewang über die Zeit des Nationalsozialismus sehr geprägt haben, hatte ich schon länger nach einem Buch gesucht, dass meiner ältesten Tochter den Einstieg in dieses schwierige Thema ermöglicht. Wichtig war mir, dass die damalige Zeit so realistisch wie möglich eingefangen wird, ohne zu traumatisieren oder zu überfordern.

"Heul doch nicht, du lebst ja noch" erfüllt diese Anforderungen meiner Meinung nach absolut! Durch die kurzen Kapitel und die dargestellte Perspektive der Jugendlichen Hermann, Traute und Jakob ist der Einstieg ins Buch sehr gut gelungen. Mit diesen drei Protagonist:innen und ihren jeweiligen Familiengeschichten ermöglicht Kirsten Boie einen mehrperspektivischen Blick auf die damalige Zeit:

Hermann, der in der Hitlerjugend groß geworden ist und der deutlich durch das damalige Gedankengut geprägt ist als richtig arisch deutscher Junge, lebt zusammen mit seinem tief deprimierten tyrannischen im Krieg versehrten Vater und seiner energischen Mutter, die als Trümmerfrau den Lebensunterhalt der Familie bestreitet.

Traute, der es als Tochter eines Bäckers und einer Verkäuferin vergleichsweise gut geht, teilt ihr Zuhause mit einer Ostpreußischen Familie, der als Wohnraum das Wohnzimmer der Familie zugewiesen wurde, was für sie zu einer besonderen Herausforderung auf dem Weg des Erwachsenwerdens wird.

Und schließlich Jakob, Sohn einer Jüdin und eines Ariers, der nach dem Tod seines Vaters und der Deportation seiner Mutter fast auf sich allein gestellt ist und so noch nicht einmal das Kriegsende mitbekommt.

Als Kulisse für diese besondere Geschichte dient das zerbombte Hamburg, wodurch auch die Besatzer und der Schwarzmarkt eine wichtige Rolle spielen.

Da wir "Heul doch nicht, du lebst ja noch" als Drei-Generationen-Buddy-Reading mit meiner Mutter (62) und meiner Tochter (13) gelesen haben, hat uns dieses besondere Buch viele tolle Erzählanlässe geboten, wie z.B. die Frage, warum Zigaretten damals so ein wichtiger Tauschwert waren; welche Bedeutung das "Sarah" im Ausweis von Jakobs Mutter hatte; warum die Menschen Hitler damals so vertraut haben; was Inflation ist und wie der Schwarzmarkt funktioniert hat...

Bemerkenswert fand ich, dass gerade meine Tochter das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte und am schnellsten damit fertig war.

Insgesamt ist "Heul doch nicht, du lebst ja noch" somit, unserer Meinung nach, ein sehr beeindruckendes Buch, da wir durchgängig das Gefühl hatten, uns auf Zeitreise in die Nachkriegszeit zu begeben.

Durch die vielen Erzählanlässe und die unerwarteten Wendungen ist uns diese Geschichte nachhaltig im Gedächtnis geblieben und sie ist ein toller Einstieg in diese Thematik.

Insofern würden wir sie gleichermaßen auch als Schullektüre für fächerverbindendes Lernen empfehlen, da nicht nur historische, sondern auch viele politische und ethische Fragestellungen aufgeworfen werden.