Rezension

Es gibt gut und es gibt böse

Notizen zu einer Hinrichtung -

Notizen zu einer Hinrichtung
von Danya Kukafka

Bewertet mit 5 Sternen

Ansel Packer sitzt für den Mord an mehreren Frauen in der Todeszelle. Noch in seinen letzten Stunden ist er davon überzeugt missverstanden zu werden und er ordnet seine Notizen, seine Theorie, in der er der Welt seine Sicht der Dinge darlegen will, keine Rechtfertigung seiner Taten, keine Entschuldigung an die Opfer und ihre Familien, sondern seine Wahrheit zu Gut und Böse.

"Wenn du Sie liest, wirst du alles verstehen. Gut und Böse sind einfach Geschichten, die wir uns erzählen, Narrative, die wir erfunden haben, um unsere Existenz zu rechtfertigen. Niemand ist vollkommen gut, oder vollkommen böse. Jeder verdient es, weiterzuleben, findest du nicht?"

Danya Kukafka liefert hier einen sehr untypischen, aber um so eindringlicheren Thriller. Der Leser begegnet Ansel und erfährt in Rückblicken auf die Frauen in seinem Leben etwas über sein Leben. Da gibt es Lavender, die Mutter, gefangen in einer toxischen Beziehung zu Ansels Vater, die, um die Kinder und letztlich auch sich zu retten flüchtet und darauf hofft, das es den beiden kleinen Jungen in der Obhut des Jugendamtes besser ergeht. Saffy, die Polizeibeamtin, die erfolglos im Fall eines von Ansels Opfern ermittelt und Ansel aus der gemeinsamen Zeit in einer Pflegefamilie kennt und Hazel, die Schwester von Ansels Lebensgefährtin. Drei Frauen, die Ansel beeinflusst haben, oder deren Leben durch Ansel beeinflusst wurde, verändert wurde für immer.

Vor dem Leser breitet sich nicht nur ein Leben aus, sondern viele Leben und über allem steht die Frage die Ansel immer beschäftigt, Was wäre Wenn. Was wenn Ansels Mutter die Jungs nicht verlassen hätte? Was wenn Ansel ebenfalls von einer netten Familie adoptiert worden wäre? Was wenn ...? Ständig philosophiert Ansel darüber, wie sein Leben wohl in einem Universum verlaufen wäre, wenn hier nur eine Entscheidung anders getroffen worden wäre. Letztlich läuft es auf die Debatte hinaus, ob Menschen von Grund auf Böse sind, quasi durch ihre Gene und somit gar nicht anders handeln können, oder, ob die Entscheidungen in ihrem Leben, ihre Lebensumstände sie zu dem Monster machen, das am Ende nur selbst den Tod verdient hat. Eine Grundsatzfrage, sicher nicht leicht zu beantworten und nur ein Aspekt des Buches, der beim Leser nachhallt. Ein Weiterer ist sicher die Debatte über die Todesstrafe, Sinn, oder Sinnlosigkeit dieser Form der Strafe, denn, wie Blue, Ansels Nichte und Zeugin bei der Hinrichtung bemerkt - "...auch schlechte Menschen empfinden Schmerz."

Für einen Thriller ist das Buch unglaublich dicht und tiefgründig. Die Autorin fächert das Leben ihrer Figuren vor dem Leser auf. Während in Ansels Kapiteln der Ton eher neutral, aber immer latent bedrohlich ist, ist er bei den Frauen eher emotional, mitfühlend, aber auch bedrückend. Der Leser nimmt teil, taucht ein, kann den Schmerz, die Angst, die Verzweiflung, aber auch das Glück und die Liebe fühlen. Die verschiedenen Sichtweisen auf Ansel geben ein unglaublich komplexes Bild von seine Figur und schaffen es, das der Leser fast so etwas wie Sympathie für ihn entwickelt, ungeachtet seiner Taten. 

Mich hat das Buch in Thematik und Umsetzung total überzeugt, ich habe nicht damit gerechnet, dass sich die Geschichte in dieser Art und Weise entwickel würde. Ich würde das Buch nicht unbedingt als klassischen Thriller einordnen, eher als Charakterstudie, vielleicht sogar ein ganz klein wenig als Drama. Das Buch ist so vielschichtig, dass hierzu mehrer Interpretationen möglich sind. Von mir gibt es eine unbedingte Leseempfehlung, definitiv eines meiner Jahreshighlights.