Rezension

Fesselnder Kinderkrimi - aber kleine Kritikpunkte

Das mordsmäßig merkwürdige Verschwinden der Lily Cooper - Renée Holler

Das mordsmäßig merkwürdige Verschwinden der Lily Cooper
von Renée Holler

Bewertet mit 4 Sternen

„Das mordsmäßig merkwürdige Verschwinden der Lily Cooper“ ist ein spannender Kinderkrimi, der ab zehn Jahren empfohlen wird, der aber stellenweise wirklich gruselig ist. Eltern sollten daher gut überlegen wieviel Aufregung ihre Kids schon vertragen. Schon der Anfang ist äußerst unheimlich. Denn die 13jährige Lily, um die es in der Geschichte geht, ist (wie der Titel vermuten lässt) verschwunden. Obwohl man mittels kleinerer Passagen aus Lilys Perspektive früh erfährt, dass sie am Leben ist, wird gleichzeitig klar: Sie wurde gewaltsam entführt und wird irgendwo in einem fremden Keller gefangen gehalten. Eine üble Vorstellung, nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern. Der Albtraum schlechthin, möchte ich meinen. Renée Holler lenkt die Aufmerksamkeit der jungen Leser jedoch größtenteils auf den detektivischen Teil ihrer Geschichte, der viel geheimnisumwittertes Fünf-Freunde-Gefühl aufkommen lässt, auch wenn es sich erst einmal nur um zwei Freunde handelt.

Handlungsort ist Oxford, kurz vor Halloween, was sofort für eine tolle, unheimliche Stimmung sorgt, samt im Kerzenschein flackernder Kürbisse, dunkler Straßen und einer unheimlichen alten Villa. Selina, Lilys Cousine, ist gerade erst aus Indien angereist, um eine Weile in England bei ihren Verwandten zu leben. Aber als sie eintrifft, ist Lily bereits verschwunden und alle sind in heller Aufregung. Zeit hat eigentlich niemand für Selina. Außer der Nachbarsfamilie. Mit derem gleichaltrigen Sohn Eric versteht sich Selina auf Anhieb und da beide im Gegensatz zu den Erwachsenen nicht daran glauben, dass Lily einfach nur ausgebüxt ist, beginnen sie heimlich zu ermitteln. Schnell stoßen sie auf verdächtige Spuren und erkennen Zusammenhänge, die von den Erwachsenen übersehen werden. Da geht es um komische, metallische Käfer, ein gestohlenes Manuskript und ein verschlüsseltes Notizbuch.

Das Buch liest sich prima. Das liegt zum einen am flüssigen Schreibstil, der nie abschweift, sondern immer beim Wesentlichen bleibt, zum anderen an den ständigen Spannungsspitzen, die Renée Holler streut. Man wird von einer brenzligen Situation in die nächste geworfen und bekommt häppchenweise die Puzzleteile der Geschichte zu fassen. Die sind aber sehr mysteriös, wodurch die Neugier ständig befeuert wird und nicht zu früh in ersten Vorahnungen verebbt. Der Fall ist gar nicht so leicht zu lösen, auch für ältere Leser nicht, wobei wohl auch den wenigsten ein derart schauerliches Finale in einem Kinderbuch vorschweben dürfte. Ohne zuviel spoilern zu wollen... einer Ratte wird da mal eben das Herz aus dem Körper geschnitten.

Mein Sohn, der das Buch gemeinsam mit mir gelesen hat, fand die Geschichte superspannend, das Ende aber etwas eklig. Die Ereignisse waren für ihn insgesamt jedoch gut "verdaubar", wobei er mit seinen 12,5 Jahren auch zur oberen Kante der Zielgruppe zählt. Mit zehn Jahren hätte er sich sicher mehr gefürchtet. Zwar klingt alles positiv aus, aber das Happy-End steht buchstäblich auf Messers Schneide!

Was hier mehrfach stört, wie schon andere Leser bemängelt haben, sind die unlogischen Verhaltensweisen der Figuren. Gleich auf den ersten Seiten steigt Selina, deren Ankunft von ihren Verwandten völlig vergessen wurde, zu einer fremden Frau ins Auto, die zufällig in dieselbe Richtung fährt. Hust! Also, da hat man den Kids gerade erst eingetrichtert nie nie niemals zu Fremden in den Wagen zu steigen und dann das. Solche Szenen gehören meiner Ansicht nach nicht in eine Geschichte für dieses Alter und selbst Kindern kommt das äußerst merkwürdig vor. Auch die Erwachsenen, vor allem Selinas Onkel Harry, verhalten sich bisweilen irrational. Da ist Lily seit Tagen verschwunden und es fallen doch tatsächlich Sätze wie: „Vielleicht ist sie nach London oder ans Meer, was weiß ich. Sie taucht sicher bald wieder auf.“ (S.66) Ähhhhhh. Hallo? Das sind Kleinigkeiten, die mich trotzdem störten und die man anders hätte lösen können. An einer Stelle ist der Autorin ein Fehler beim Entschlüsseln eines Codes unterlaufen, auch das fällt bereits Kindern auf. Und schließlich begeben sich Selina und Eric in echte Gefahr, wollen den Fall jedoch bis zuletzt ohne die Hilfe der Erwachsenen lösen - auch das fand ich ab einem bestimmten Punkt fragwürdig, weil es meiner Meinung nach falsche Signale an die junge Leserschaft sendet.

Insgesamt ist „Das mordsmäßig merkwürdige Verschwinden der Lily Cooper“ ein toller Kinderkrimi, der ganz schön aufregend ist und mit dem schaurigen Ende Nervenstärke verlangt, der sich aber größtenteils liest wie eine klassische Detektivstory im Stile der Fünf-Freunde-Bücher und vor mysteriösem Flair nur so sprüht. Sehr schade ist das mordsmäßig merkwürdige Verhalten der Figuren an einigen Stellen, zumal man dieses ohne viel Aufwand hätte vermeiden können. Bei der Altersempfehlung würde ich eher zu 12 als zu 10 Jahren tendieren, je nachdem wie zart besaitet eure Kinder sind.