Rezension

Gelungene Mischung

Die Tuchhändlerin - Ivonne Hübner

Die Tuchhändlerin
von Ivonne Hübner

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt
Zur Zeit der Weberaufstände verlieben sich zwei Menschen ineinander, die das nicht dürfen.

Der historische Hintergrund
Da ich in einer Leinenbauer-Stadt wohne, hätte ich mich bestimmt schon mal mit diesem Thema beschäftigen sollen oder können, zumal ich tatsächlich handgewebtes Leinen habe, das sicherlich schon hundert Jahre alt ist. Nun, trotzdem hatte ich keine Ahnung, wusste nur, dass es ziemlich harte Zeiten waren und irgendwann ein Aufstand war.
Und genaueres fand ich in diesem Buch.
Unglaublich, wie das mit den Zunftgesetzen war, immerhin schreiben wir das Jahr 1830 und die französische Revolution war schon ein alter Hut. Aber hier treffen wir auf derart seltsame Anweisungen, die sich in beinahe alle Bereiche des Lebens ausbreiteten, dass es mich geschaudert hat. Und kein Wunder, dass die Leute irgendwann dagegen auf die Barrikaden gegangen sind.
Schön werden in dem Buch die Missstände verdeutlicht, was mir gut gefallen hat.

Der Stil
Der Stil ist setsam abgehackt, die Sätze kurz und voller Wiederholungen, um die Situation zu verdeutlichen. Zuweilen schwappt das gesprochene altertümliche Wort in die Beschreibungen der Autorin, die sich anscheinend genau in die Zeit gedacht hat. Mich hat das teilweise irritiert, weil es nicht rund läuft. Aber eckig kann auch ganz schön sein und so störte es mich nicht weiter. In sich ist der Stil schlüssig und konsequent durchgezogen.

Meine Meinung
Dies ist trotz des reellem Hintergrundes kein Geschichtsbuch. Das Schicksal der Weber ist durchaus erschütternd, wird aber nicht so dramatisch bzw. mitleidsheischend umgesetzt, dass es nun auch mich noch im Nachhinein auf die Barrikaden bringen würde.
Für mich steht hier mehr die Beziehung zwischen Luisa und Casper im Vordergrund und ihre Gedanken, wie man in so einer Welt das Glück finden kann.
Das ist Ivonne Hübner sehr gut gelungen und ich habe es teilweise beinahe atemlos gelesen, besonders am Schluß, als, nun, die Autorin spielt hier ganz gut mit den Befürchtungen des Lesers.
Gefallen hat mir auch die Darstellungen des Damastwebens, die sich wirklich professionell anhören und Lust machen, mehr darüber zu erfahren. Denn natürlich kenne ich Damastbettwäsche bzw. -tischdecken, habe mir aber nie einen Gedanken darüber gemacht, wieviel Arbeit darin stecken kann, wenn es handgefertigt ist. Und selbst das, was man da heute bekommt, ist doch ein relativer Aufwand. Mir jedenfalls war es ein wenig Entschleunigung, zu lesen, wie lange es dauerte, so ein Tuch herzustellen. Und das sogar schon im Vorfeld. Aber so ist das mit dem Handwerk, es braucht Muße, etwas, dass heute selten ist.
Wo war ich?
Richtig, meine Meinung.
Mir hat das Buch gefallen, weil es einen sehr liebevollen Eindruck vermittelt. Da hat jemand, der gut recherchiert hat, eine wunderbare Geschichte geschrieben und es geschafft, mich in das Jahr 1830 zu katapultieren. Ein wenig Lokalkolorit, ein bisschen Leidenschaft und Herzschmerz, Hintergrundwissen und einen besonderen Stil zeichnen dieses Buch aus.
Die Kapitelunterschriften haben mich an 'Zimmer mit Aussicht' erinnert, was nicht so abwegig ist [;)]

Fazit?
Empfehlenswert für historisch Interessierte, die nicht nur über das Mittelalter lesen möchten.