Rezension

Grenzenlose Sehnsucht - Heimat

Was uns erinnern lässt - Kati Naumann

Was uns erinnern lässt
von Kati Naumann

Was uns erinnern lässt ein Roman von Kati Naumann erschienen im HarperCollins Verlag

2017: Milla, 33 Jahre alt, genießt abends in ihrer Wohnung in Coburg zusammen mit ihrem 14-jährigen Sohn Neo ein Marmeladenbrot. Doch es ist nicht irgendeine Marmelade! Nein, eine Brombeermarmelade, die Mila auf ihren Streifzügen zu einem sogenannten Lost Place in einem Keller mitten im Thüringer Wald gefunden hat. Fast 40 Jahre sind seit dem Sommer der Verabeitung der süßen Brombeeren vergangen und mit ihr die Erinnerungen an das Hotel Waldeshöh und dessen Geschichte, die nun verblasst. Mila ist fasziniert von diesem verborgenen Ort und recherchiert auf eigene Faust. Dabei geht sie der Geschichte des ehemaligen Hotels und deren Besitzern auf den Grund. Es blühen tiefgreifenden Rückblicke auf, die auch ihr eigenes Ich tief berühren.

1945: Eine junge Lehrerin lebt mit ihrer Schulklasse aus Frankfurt am Main und andere Kinder zusammen mit Johanna Dressel, ihrem Sohn Werner und ihrer Schwiegermutter in den Tiefen des Thüringer Waldes, nahe des Rennsteigs, im Dressels Forst im angesehen Hotel Waldeshöh. Das Gebiet ist schon seit Generationen im Familienbesitz. Johannah kümmert sich so gut es geht um die Belange des Hotels und angrenzenden Forsts, während ihr Mann Arno im Krieg kämpft. Dann die Nachricht, die Panzer der Amerikaner sollen schon in Coburg, Neustadt und Eisfeld angekommen sein. Johannas Furcht vor den Russen geht in ihrer Vermutung unter: "...was haben wir für ein Glück, dass es die Amerikaner sind. Jetzt wird alles gut." Inwieweit sich Johannahs Aussage bewahrheitet und was mit dem einst angesagen Anwesen geschieht, berichtet die Autorin indem der Leser die Familie Dressel durch viele Jahrzehnte begleitet - bis ins Jahr 1977. Dabei durchlebt man Höhen und Tiefen der verschiedenen Hauptprotagonisten und Nebencharaktere, die einen alle ans Herz wachsen. Die Autorin erzählt ihre Geschichte mit ungeahnter Kraft und es entsteht ein Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Durch gekonnt platzierte Cliffhanger wechselt Kati Neuman in die zweite Erzählenbene und verfolgt, dank Mias Bemühungen um Recht und Ordnung, allerlei emotionalen Entschlüsselungen. Es kommt zu einer Begegnung mit Christine. Beide Frauen arbeiten zusammen die jeweils eigene Geschichte auf, bringen Licht ins Dunkel und finden Antworten auf viel zu lange ungestellte Fragen. Der Aufbau dieser beiden Zeitschienen und wechselnden Perspektiven funktioniert brillant und steigert den spannenden Lesefluss ungemein. Die bildgewaltigen Beschreibungen vertiefen den Eindruck einer realen Erzählung, wobei Fiktion und Wirklichkeit gekonnt verschwimmen. Die Liebe zur Natur und zum Thüringer Wald ist in den jeweiligen fast poetischen Schilderungen spürbar. Gerade weil ich heute meine Füße wieder dort hinein setzten werde und in der ehemaligen DDR aufgewachsen bin, berühren mich die einfühlsamen, atmophärischen Erzählfragmente sehr. Mich hat "Was uns erinnern lässt" mit dem passenden Cover positiv überrascht, aufgewühlt und nachdenklich zurückgelassen. Kati Naumann hat ein wundervolles Herzensbuch geschrieben, eine spannendes Familienschicksal, welches mir so manchen Gänsehautmoment beschert hat. Eine klare Leseempfehlung mit zahlreichen Gedanken zum Thema Heimat.