Rezension

Großartig! Bis auf das Ende...

Niemand sieht mich kommen - Lisa Scottoline

Niemand sieht mich kommen
von Lisa Scottoline

"Ich bin ein Soziopath. Ich sehe ganz normal aus, bin es aber nicht. Ich bin intelligenter, besser und freier, denn ich werde weder von Regel, Gesetzen oder Gefühlen beschränkt, noch von Respekt vor dir." Seite 7

In Dr. Eric Parrishs Leben lief bislang alles gut. Er ist Chef der psychiatrischen Abteilung des HGH, das gerade auf Platz 2 der besten Krankenhäuser gewählt wurde. Er hat eine wunderschöne siebenjährige Tochter, die ihn liebt. Von seiner Frau hat er sich zwar getrennt, aber man weiß ja nie, und zumindest gibt es noch das gemeinsame Haus. Es läuft nicht alles perfekt, aber er ist glücklich. Bis er zur Zielscheibe wird.

Niemand sieht mich kommen wird aus zwei Perspektiven erzählt. Es beginnt mit der Ich-Perspektive eines selbst erklärten Soziopahten, der immer wieder darüber philosophiert, wie schlau er ist und wie sehr er unterschätzt wird und wie leicht es ihm fällt, andere zu täuschen und dass er einen Plan entwickelt hat, Dr. Parrish zu zerstören. Nicht aus Rache. Für ihn ist es ein Spiel und wenn dieses Spiel beendet ist, beginnt er das nächste.

Die zweite Perspektive ist die von Dr. Parrish, allerdings nicht als Ich-Erzähler. Die meiste Zeit über folgen wir ihm und müssen mit ansehen, wie er durch scheinbar zufällige Ereignisse alles verliert. Es wirkt wie eine Pechsträhne, und wenn wir nicht wüssten, dass jemand dahintersteckt, würden wir auch nicht an eine kriminelle Tat glauben. Ich kann nicht erzählen, was ihm alles passiert, um nicht zu spoilern (der Klappentext verrät für meinen Geschmack schon zu viel). Ich kann nur verraten, dass das Pech nicht nur einen Bereich seines Lebens betrifft, sondern alle. Job, Kollegen, Tochter, Ex-Freundin, Freundin. Alles rutscht ihm aus den Finger und je mehr er sich anstrengt, seine Unschuld zu beweisen, desto fester zieht sich die Schlinge zu. Jemand hat sich fest vorgenommen, ihn zu zerstören. Und dieser jemand ist ihm immer drei Schritte voraus.

Niemand sieht mich kommen hat mich durch seine Mischung überzeugt. Eric Parrish ist nicht nur das Opfer eines Soziopathen, er versucht auch in einem Mordfall selbst zu ermitteln - was alles nur noch schlimmer macht. Dieser Roman vermischt Thriller-, Psychothriller- und Krimi-Elemente miteinander. Ich muss sagen, ich habe schon lange keinen Thriller mehr gelesen, der mich so gut unterhalten hat und obwohl das gewisse Etwas gefehlt hat, um aus "fesselnd" auch "geht unter die Haut" zu machen, bin ich begeistert. Nur das Ende...

Tja, das Ende hat meine Euphorie ein bisschen gebremst. Lässt sich Lisa Scottline zu Beginn noch Zeit, Eric Parrish zu zerstören, geht am Ende plötzlich alles Schlag auf Schlag. Was mir gefehlt hat, ist der richtige Höhepunkt, es war zu schnell. Und obwohl auf den letzten Seiten noch einmal eine Wendung kommt, brachte diese keine Überraschung mehr, weil ich es vorher schon wusste. Zudem passt die Erklärung des Soziopathen, warum er das alles getan hat, plötzlich nicht mehr zu dem, was er uns in der Ich-Perspektive weiß machen wollte. Natürlich hat er gesagt, er würde auch uns Leser täuschen. Aber diese Wendung um 180° kam mir nicht clever vor, sondern unlogisch. Ich kann auch hier nichts verraten, aber vielleicht hilft es denjenigen, die den Thriller schon gelesen habe, wenn ich ein Stichwort nenne: Emotionen.

Diese letzten 50 Seiten sind irgendwie zu übereilt und wirken schrecklich konstruiert. Als hätte Scottline es plötzlich eilig gehabt, den Roman zu beenden. Auf diesen letzten 50 Seiten hätte ich mir noch etwas mehr Rafinesse gewünscht.

(c) Books and Biscuit