Rezension

Großartig erzählter Roman über das entbehrungsreiche Leben zweier Waisen

Die Unschuldigen - Michael Crummey

Die Unschuldigen
von Michael Crummey

Bewertet mit 5 Sternen

Bewegendes Buch über das entbehrungsreiche Leben zweier Geschwister in Neufundland um 1800, spannend und vielschichtig erzählt

Heute Nacht war ich in Gedanken wieder dort, in Neufundland um 1800, in der kargen, wilden und so unwirtlichen Natur. Und doch bringen es Menschen fertig, dort zu leben, allerdings mehr schlecht als recht. Der Kampf ums Überleben, Hunger und Kälte und was das alles mit einem macht sind Themen, die einen noch eine Weile beschäftigen, nachdem man das Buch zugeklappt hat.

Eine kleine Familie lebt einsam an einer Meeresbucht vom Fischfang, Kilometer weg vom nächsten kleinen Ort. Zweimal im Jahr kommt ein Schiff, holt den getrockneten, gesalzenen Fisch und bringt die nötigsten Vorräte. Doch dann bricht die Katastrophe über diese Menschen herein: die kleine Schwester Martha stirbt, dann die Mutter und schließlich der Vater. Zurück bleibt ein Geschwisterpaar: der Junge Evered, 12 Jahre, und die Schwester Ada, 10. Sie wollen nicht weg, wollen bleiben, wo das Grab der kleinen Schwester ist und weiter vom Fischfang leben.

Es ist eine unglaublich eindrückliche Erzählung vom unvorstellbar harten Leben, von Einsamkeit und Geschwisterliebe, von seltenen menschlichen Begegnungen, von mitmenschlicher Wärme, von erwachender Sexualität.

Der Roman ist einerseits spannend, weil sich der Leser fragt, ob beide Kinder es schaffen, zu überleben, und andererseits so meisterhaft erzählt, dass ich kaum noch aufhören konnte zu lesen und noch tagelang (und auch mal nachts) meinen Gedanken zu den allgemein menschlichen Themen nachhing. Die Sprache ist nicht verschnörkelt, aber so, dass man sich jede Situation richtig gut vorstellen kann. Ich hatte den Eindruck, dass sich unter der Schicht des erzählten Alltags und der Begebenheiten weitere Verständnisschichten verbergen. Und das macht sicher einen guten Roman aus.

Wer jetzt denkt, es sei deprimierend, über dieses gefährliche entbehrungsreiche Leben zu erfahren, nein, eher nicht. Es gibt genug menschliche Wärme, Hilfsbereitschaft und tröstliche Szenen. Aber man denkt schon darüber nach, in welch' relativem Luxus wir alle leben und dass viele sich dennoch beklagen.

P.S.

Und wer ist eigentlich Michael Crummey?

Er ist ein kanadischer Poet, der schon mehrere Preise mit seinen Romanen bekommen hat, der aber hier völlig unbekannt ist – bis jetzt. Ich hoffe sehr, dass seine anderen Roman auch übersetzt bzw. neu aufgelegt werden, denn ich würde gerne mehr von ihm lesen.

https://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Crummey