Rezension

Gut recherchierter historischer Krimi

Sei ganz still - Sebastian Thiel

Sei ganz still
von Sebastian Thiel

Bewertet mit 5 Sternen

„...Auf nichts konnte man sich mehr verlassen als auf den blinden Gehorsam einer Befehlskette...“

 

Friedrich Wolf, ehemaliger Polizist, ist im KZ interniert. Mitten in der Nacht wird er zur Kommandantur gerufen. Dort trifft er auf den SS-Arzt Dr. Kampa. Dieser fährt Wolf nach Düsseldorf an ein geöffnetes Grab. Die Tote ist nicht diejenige, deren Name auf dem Grabstein steht. Eigentlich sollte im Grab Charlotte liegen, die Verlobte von Dr. Kampa. Wolf soll die junge Frau finden.

Der Autor hat einen spannenden Kriminalroman geschrieben. Die Spannung ergibt sich nicht nur aus der vielschichtigen Handlung, sondern insbesondere aus dem dahinter stehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Das Buch ließ sich flott lesen und hat mich schnell in seinen Bann gezogen.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Das trifft insbesondere auf Wolf und Helene zu. Wolf war als Polizist nicht zimperlich. Er kennt sich im Milieu aus und greift auch zu Gewalt. Seine Brutalität ist aber nicht mit dem zu vergleichen, was er selbst im KZ erlebt hat. Dazu kommt, dass Wolf durchaus eine weiche Ader hat. Nach und nach erhalte ich als Leser Einblick in Wolfs Vergangenheit. Sie hat unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Helene, Chefin eines Bordells, war Wolfs erste Freundin und ist ihm immer noch eine Vertraute. Sie ist hilfsbereit, setzt aber bewusst Grenzen.

Sehr gut werden die gesellschaftlichen Zustände exemplarisch in Düsseldorf beschrieben. Das eine ist Gewalt gegen Juden, das andere ist die spürbare und unterschwellige Angst, selbst bei einer starken Frau wie Helene. Das Buch zeichnet sich durch eine exakte Recherche der historischen Verhältnisse aus. Das gibt ihm eine bedrückende Authentizität.

Wolf merkt sehr schnell, dass er sich in einem komplizierten Machtgeflecht befinden. Scheinbar geht es um die Rivalität zweier Männer. Beide geben sich als stramme SS-Männer. Auch mir als Leser hat es der Autor nicht leicht gemacht, ihre Motive und Beweggründe zu durchschauen.

Der Sprachstil des Buches ist ausgereift. Das zeigt sich an der Verwendung unterschiedlicher Sprachtypen. Anders gesagt, werden die Protagonisten durch ihre Sprache gekennzeichnet. Der knallharte Jargon, den der Arzt verwendet, trifft auf Wolfs Sarkasmus. Obiges Zitat stammt von ihm. Er kann aber auch anders. Sprachlich gekonnt wird Wolfs Zwiegespaltenheit und sein schwieriger Charakter dargestellt. Aussagekräftige Dialoge wechseln mit gefühlsbetonten Szenen.

Gesetze und offizielle Dokumente, die gekonnt in die Handlung integriert wurden, werden kursiv wiedergegeben.

Das in schwarz weiß Tönen gehaltene Cover passt zur Geschichte.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Im Rahmen einer spannenden Handlung hat der Autor ein bedrückendes Thema der Nazizeit aufgearbeitet. Die Unmenschlichkeit eines Systems zeigt sich daran, wie es mit den Schwächsten der Gesellschaft umgeht. Menschlicher Ehrgeiz hat Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft ausgeblendet. Gleichzeitig hat der Autor denjenigen ein literarisches Denkmal gesetzt, denen Menschenleben wichtiger waren als eigene Sicherheit.