Rezension

Gutes Lesefutter

Epidemie - Åsa Ericsdotter

Epidemie
von Åsa Ericsdotter

Schweden in Not

Wer fand, dass 2016 ein schreckliches Jahr war, wird derzeit eines Besseren belehrt. 2017 mausert sich bereits in seinem ersten Viertel zu einem Jahr, das es in sich hat  - und wohl noch weiter spannend bleibt. Donald Trump ist Präsident der USA geworden, in Holland führte bis kurz vor der Wahl gerade noch ein Rechtspopulist, der den Islam verbieten wollte, die Umfragen an, und in Frankreich hat Marine Le Pen angekündigt, im Fall ihres Wahlsiegs, Frankreich aus der EU zu führen. Für Deutschland bleibt abzuwarten, wie die Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl im September abschneiden werden.

In diesen wirren Zustand der Weltpolitik platzt Åsa Ericsdotter mit ihrem Titel "Epidemie". Sie entwirft in ihrem Romanerstling ein Szenario, in dem ein paar neue, populistische Ideen durch ein frisches, unverbrauchtes Gesicht präsentiert werden. Ein paar Phrasen werden gedrescht und sie scheinen genug Überzeugungskraft zu haben, um die Masse zu erreichen und damit an die Macht zu kommen.

Konkret sieht das so aus: In Schweden hat die "Gesundheitspartei" unter der Führung des jungen, charismatischen Johan Svärd die Macht übernommen. Seitdem ist das Thema Essen dort verpönt und es ist alles andere als gewöhnlich, sich ungehemmt diesem Genuß hinzugeben. Fitness ist das Maß aller Dinge. Da gibt es Sportkurse mit so charmanten Namen wie "Fit-Or-Die-Bootcamp".

In der Schule wurde die Fächervielfalt auf ein Mimimum zurückgeschnitten. Die Kinder haben nun vor allem Sportunterricht und Gesundheitskunde auf dem Stundenplan stehen. Die Übergewichtigen sollen in spezielle Klassen eingeteilt werden und Sonderunterricht zum Thema Diäten u.ä. bekommen.

Helena ist Krankenschwester und lebt mit ihrer Tochter Molly in Gimo. Sie ist bereits seit einem halben Jahr arbeitslos, denn ihr Fett-Muskel-Quotient (FMQ) liegt deutlich über 42. Wer zu viel wiegt, wird entlassen. Und nun wurde auch noch Molly in die "Dicken-Klasse" eingeteilt. Zu viel des Guten, befindet Helena und beschließt, dass sie mit ihrer Achtjährigen aus diesem kranken Umfeld verschwinden muss.

Landon arbeitet an der Universität und ist mit einer Verwarnung der Regierung davongekommen. Sein FMQ von 41 hat ihn gerade noch vor dem Jobverlust gerettet, doch auch so macht das Leben derzeit keinen großen Spaß. Als er Zeuge wird, wie eine weitere Kirche in Uppsala zu einem "Gesundheitszentrum" mit Fitnessgeräten umgerüstet wird, beschließt er, dass es Zeit ist, abzuhauen. Das elterliche Sommerhaus auf der Insel Kavarö scheint ihm genau der richtige Ort zu sein, um sich wieder besser auf seine Arbeit konzentrieren zu können.

Dort treffen er, Helena und Molly aufeinander und werden schnell zu einem eingeschworenen Team gegen den grasierenden Wahnsinn.

Und dann gibt es da auch noch die Schriftstellerin Gloria, FMQ 54, neuerdings, man ahnt es, arbeitslos. Doch so geschockt sie auch sein mag durch diese Horrornachricht, Gloria beginnt zu recherchieren. Wie kam es eigentlich zu dieser Fettleibigkeits-Hysterie und was genau ist denn nun so schlimm an übergewichtigen Menschen?

Als die Umfragewerte für Johan Svärt und seine Leute zu sinken drohen, überschlagen sich die Ereignisse und Svärt nimmt billigend in Kauf, auch über Leichen gehen zu müssen, um seine Ziele realisieren zu können. Er entwirft einen unfassbaren Plan und seine Anhänger folgen ihm, blindlings und ohne nachzudenken. Nur einer stellt sich ihm in den Weg, ausgerechnet sein ältester Freund. Doch ob das reichen kann?

Der Politthriller lässt den Leser wie einen Wirbelsturm über die Seiten fegen und gewährt ihm kaum Zeit, auf Feinheiten zu achten. Man will, verdammt noch mal, endlich wissen, wie dieses Riesenschlamassel sich auflösen wird.

Der Plot ist spannend geschildert, die Dramaturgie stimmig. Die Sprache ist hier ein Mittel zum Zweck und kein eigenständiges Kunstwerk. In diesem Thriller werden keine philosophischen Sätze geäußert, hier ist Action angesagt. Doch die Grundidee wirkt stark konstruiert, wenn man sich gegen Ende der Lektüre noch mal die Zeit nimmt, Luft zu holen und all das Geschehene Revue passieren zu lassen.

Eine "Gesundheitspartei", der es gelingt, die große Masse anzusprechen? Müsste sie, um das zu schaffen, nicht die Unterschicht ansprechen?  Und ist es nicht gerade die Unterschicht, die laut Erhebungen den größten Teil der Übergewichtigen darstellt? Kann es tatsächlich gelingen, mit so lapidaren Themen wie "mehr Gesundheit, weniger Dicke" eine Wahl zu gewinnen? Fettleibige Patienten kosten den schwedischen Staat unglaublich viel Geld, so lässt Ericsdotter ihren Parteichef argumentieren. Erreicht man mit dieser These ein ganzes Volk?

Doch dann fällt es einem wieder ein: Donald Trump hat es auch geschafft, 2017 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden.