Rezension

Himmlischer Epos

Eines Menschen Flügel - Andreas Eschbach

Eines Menschen Flügel
von Andreas Eschbach

Bewertet mit 4 Sternen

Einmal in einer fernen Zukunft auf einem paradiesischen Planeten sind die Menschen engelsgleich. Sie sind gentechnisch verändert, sodass ihnen dank ihrer Flügel der Himmel gehört. Aber die Sterne haben sie bisher nie gesehen und am Boden lauert der Tod.

„Eines Menschen Flügel“ ist ein epischer Roman von Andreas Eschbach, der seine Vision des Menschseins in den Himmel hebt.

Auf diesem paradiesischen Planeten herrscht Eintracht. Insgesamt gibt es 34 Stämme, welche ihre Flügel schwingen. Denn die Menschen scheuen den Boden, weil sich darin der Tod verbirgt. Die Stämme leben in Nestern, die in riesigen Baumkronen zu finden sind. Nur die Nestlosen ziehen in melancholischer Traurigkeit umher, weil es sie ständig an neue Orte treibt. Obwohl die Menschen so gut wie im Himmel leben, haben sie nie die Sterne gesehen. 

Als mir das Buch aufgefallen ist, war ich skeptisch. Meinem Geschmack nach hat es mir zu sehr nach Fantasy geklungen und Andreas Eschbach als Autor liegt mir nur bedingt. Außerdem dürfen für mich fiktionale Welten nicht zu stark in der Phantastik beheimatet sein, weil ich greifbaren Bezug zur Realität brauche, damit mich die Geschichte unterhält.

Trotzdem haben mich etliche beeindruckte Leser mit ihren jubelnden Rezensionen neugierig gemacht, sodass ich die Welt der engelsgleichen Menschen kennenlernen wollte.

Dieser magische Planet mit seinen Stämmen hat mich sofort fasziniert. Eschbach hat eine Art geflügeltes Naturvolk geschaffen, das im völligen Einklang mit der Umwelt lebt. Hierbei geht der Autor liebevoll und detailliert auf die Besonderheiten der Wesen, der Stämme und das interessante Regelwerk dieser Kultur ein. Mich hat es teilweise an den Film „Avatar“ erinnert, dabei sind die blauen Wesen durch fliegende Menschen ersetzt.

Kein Mensch hat bisher einen einzigen Stern gesehen. Zwar ist ihnen bewusst, dass sich verborgen im Himmel strahlendes Licht verbirgt, sie aber kennen es nur aus Erzählungen, die ihnen die Schöpfer von einst hinterließen. Diese Ahnen haben neben zahlreichen Geschichten strenge Gebote hinterlassen, welche die Menschen vor sich selbst schützen.

Diese Regeln und Gebote sind aus unseren Fehlern entstanden. Eschbach verpackt die Probleme der Gegenwartsgesellschaft darin. Er thematisiert zum Beispiel die Gier, die letztendlich zu Umweltverschmutzung und somit zum Untergang der Menschen führt, oder Macht, die auf Unterdrückung anderer basiert und dadurch die menschliche Würde attackiert. 

Gewiss liegt es in der Natur des Menschen, neugierig zu sein. Grenzen sowie Regeln dienen dazu, überwunden zu werden. Und diese Neugier treibt Owen, den besten Flieger aller Zeiten, dazu, nach den Sternen zu greifen. Als ihm sein Vorhaben gelingt, läutet er eine neue Ära ein, die das Ende der paradiesischen Existenz bedeutet kann. 

Eschbach beschränkt seine Erzählung nicht auf einen Protagonisten, sondern offenbart dem Leser ausführlich diese Welt über Generationen hinweg. Der spezielle Stil hat mich teilweise an Ken Folletts Jahrhundert-Trilogie erinnert, die ebenfalls vielfältige Stränge zu einem Epos spinnt. 

Kapitelweise taucht der Leser in unterschiedliche Perspektiven ein, lernt Väter, Mütter, Frauen, Männer, Söhne, Töchter und zukünftige Familienmitglieder kennen. Dabei erlebt man süße Liebesgeschichten und böse Eifersuchtsdramen, ist einerseits auf der familiären und persönlichen Ebene unterwegs und versinkt im nächsten Abschnitt in geheimnisvolle Intrigen, die sich zu einem abenteuerlichen Erlebnis vereinen.

Den Erzählstil fand ich sehr gelungen, weil sich dadurch diese Welt in ihren facettenreichen Einzelheiten offenbart. Mit Liebe zum Detail präsentiert der Autor seine Vision der Menschheit wie sie vielleicht besser als unsere ist. 

Ich fand es fesselnd, aufregend und war oftmals erstaunt. Trotzdem war für mich stellenweise die Luft raus und die Spannung ist mir in Nebensächlichkeiten abhandengekommen. Manche persönlichen Dramen hielten mich zu sehr von der leitenden Handlung ab, was etwas Geduld abverlangt. Gleichzeitig habe ich mir mit der Überzahl an Figuren manchmal schwergetan, weil Namen wie Oris, Meoris, Ifnigris oder Meolaparis genau wie Owen, Hekwen, Satwen oder Jiuwen für mich kaum unterscheidbar sind.

Trotz meiner - in Anbetracht des voluminösen Werks - winzigen Kritik, hat es mir ausgezeichnet gefallen. Denn ich wurde mit einer epischen Geschichte belohnt, die sich mit fantastischen Menschen, mitreißenden Abenteuern, dem Grauen des Bodens und dem Geheimnis des Himmels auseinandersetzt und insgesamt zu beflügeln weiß. 

Meiner Meinung nach wird „Eines Menschen Flügel“ garantiert viele weitere Leser in den Himmel heben.