Rezension

Hinterkaifeck als Kammerspiel

Tannöd - Andrea Maria Schenkel

Tannöd
von Andrea Maria Schenkel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Tannöd - einen besseren Titel hätte die Autorin für dieses Buch nicht finden und verwenden können. Denn dort, abgeschieden von der Dorfgemeinschaft, lebt die Familie Danner, eine seltsame Familie, die kaum jemand wirklich kennt und über die höchstens Gerüchte im Umlauf sind, samt deren Magd. Doch eines Tages sind sie tot, alle miteinander, selbst die kleinen Kinder wurden auf brutalste Weise erschlagen. Wer könnte für diese grausame Tat infrage kommen? Jemand aus dem Dorf? Ein Fremder, der zufällig vorbei kam? Mehrere Täter? Hier kommt die Interviewerin ins Spiel, welche ins Dorf kommt und einfach die Menschen befragt. Nachbarn (im Sinne von denjenigen, die am nächsten wohnen, denn Tannöd ist außerhalb der Dorfgemeinschaft), der Priester, Klassenkameradinnen der Tochter.

Sie kommen alle zu Wort, und das Geniale daran ist, dass damit jeder seine eigene Stimme bekommt, seine eigene Art zu sprechen, zu denken. Während die Befragten ihren Monolog über die Ermordeten halten, lernt man nicht nur die Opfer dieses Verbrechen kennen, sondern auch den Sprecher, die Dörfler, die Umgebung, ja, selbst die Beziehungen untereinander in der Gemeinschaft. Was die Geschichte so authentisch wirken lässt, ist, dass tatsächlich ein Hauch von Authenzität besteht, denn die Autorin hat sich an dem realen Mordfall Hinterkaifeck orientiert, der offiziell nie aufgeklärt wurde. Ich weiß, dass viele Leser diese Art von Schreibstil und vor allem die Gebete dazwischen nervig fanden, mich hat es einfach nur reingezogen in die Geschichte und mitgenommen in eine Zeit und Welt, die zwar immer noch existiert, aber von den meisten von uns auf diese Weise gar nicht wahrgenommen wird. Klasse Debüt, gut umgesetzt.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 24. April 2016 um 10:32

Schön, mal wieder eine "positive" Rezi zu diesem Buch zu lesen ;-) Ich habe es vor einigen Jahren gelesen und es ist mir wie dir ergangen. Ich fand es faszinierend und soghaft. War sehr beeindruckt. Auch "Kalteis" ist ganz ähnlich, was Atmosphäre betrifft. Das würde ich ebenfalls empfehlen. Mehr habe ich von der Autorin bislang nicht gelesen.

E-möbe kommentierte am 24. April 2016 um 11:01

Ich glaube, wir stehen damit ziemlich allein. Kann gar nicht mehr sagen, wie oft Freunde sich Freunde von mir über das Buch beschwert haben, aber ich find's einfach gelungen. Hast du mal den Film gesehen? Ich glaube, die Hälfte der Schauspieler waren Laien, aber die waren auch alle extrem gut.

Kalteis kenne ich, finde ich aber nicht ganz so gut, es fällt im Verhältnis zu Tannöd ein bisschen ab.

Bist du auf LB? Da läuft zur Zeit eine Bewerbungsphase für ein Buch von der Autorin, das interessiert mich auch. Vielleicht bewirbst du dich da auch?

Naibenak kommentierte am 25. April 2016 um 09:33

Huhu! Nein, den Film habe ich nicht gesehen...
Bei LB bin ich auch nicht. Nur hier und bei vorablesen ;) Und FB... Das reicht mir auch. Von daher bewerbe ich mich dort nicht *lach*... Ich drück dir aber sehr die Daumen und bin gespannt, was du ggf drüber berichten kannst. Ich habe übrigens noch "Bunker" zu Hause auf dem SUB. Hast du das auch gelesen?

E-möbe kommentierte am 25. April 2016 um 10:11

Nein, aber das interessiert mich auch sehr. Vielleicht könntest du es mal auf deinem Sub ein bisschen höher rutschen? :D

Und klar, sollte ich wirklich Glück haben, werde ich berichten. Wenn ich nicht was von neuen Prämien hätte läuten hören, hätte ich mir ja Finsterau geholt. (Ja, ich weiß, voll berechnend, aber ich denke, das ist menschlich.)

Und wenn du mal über den Film stolperst: Empfehlung!

katzenminze kommentierte am 28. März 2017 um 19:29

Ich fand das Buch auch gut! Schon ewig her zwar, dass ich es gelesen habe, aber mit "reingezogen in die Geschichte" finde ich es gut umschrieben. Und die Gebete passen auch toll zur Stimmung des Romans!

Die Situation im Haus ist übrigens sehr athentisch. Sie hat es eigentlich 1:1 beschrieben. Habe da mal eine Kriminaldoku drüber gesehen.