Rezension

In anderen Umständen

Die Schwimmerin -

Die Schwimmerin
von Gina Mayer

Bewertet mit 3 Sternen

In letzter Zeit lese ich überraschend viele Bücher, die sich thematisch mit der Zeit der beiden Weltkriege auseinandersetzen. Das ist spannend, meistens auch aufwühlend und manchmal anstrengend. Aber ich erfahre in jeder einzelnen Lektüre immer noch jede Menge Fakten, die ich trotz ausgeprägtem historischen Interesse bisher nicht wusste. Ich habe mir zum Beispiel noch nie Gedanken gemacht, wie mit jungen Mädchen umgegangen wurde, die in den Kriegsjahren bzw. kurz danach ungewollt schwanger wurden. Blauäugig dachte ich, dass in dieser Ausnahmezeit den Mädchen ja niemand einen Vorwurf machen würde. Aber die Gesellschaft vergisst ihre strengen Regeln nicht, dass musste auch die junge Elisabeth in Gina Mayers Roman „Die Schwimmerin“ schmerzlich erfahren.

Mayer hat sich entschieden, ihre Geschichte auf zwei Zeitebenen spielen zu lassen, die abwechselnd aus dem Leben von Elisabeth erzählen. 1942 wurde sie mit ihrer Mutter in Düsseldorf ausgebombt und ins Schwäbische Weilerbach evakuiert. Das zwölfjährige Mädchen ist großgewachsen und viel zu schlau für die Volksschule im Ort. Sie findet Anschluss bei der Pfarrersfamilie Nolting und geht aufs Gymnasium in Schwäbisch Gmünd. Von ihrer Mutter hat sie nicht viel zu erwarten. Diese ist in ihrer Trauer um den gefallenen Ehemann und der Hilflosigkeit, Entscheidungen nun allein treffen zu müssen kein Ansprechpartner für ihre Tochter. Doch in der Pfarrerfamilie wird sie herzlich aufgenommen, findet Zuspruch, eine Freundin und ihre erste Liebe. Doch der Krieg fordert auch in Weilerbach seinen Tribut und Elisabeth muss viel schneller erwachsen werden als gedacht. 1962 lebt Elisabeth, die sich nun Betty nennt, in Essen und hat sich gerade verheiratet. Sie führt ein scheinbar glückliches Leben und doch liegt ein Schatten auf ihr, der sich verstärkt, als sie plötzlich einem jungen Mädchen begegnet, das sie mit ihrer Vergangenheit erpresst. Was also ist in Weilerbach kurz nach dem Ende des Krieges passiert?

Das Geheimnis ist ein offenes Geheimnis und wird vorneweg recht offensichtlich angedeutet. Die Spannung der Geschichte zieht sich vor allem aus den sich abwechselnden Zeitebenen, die im Verlauf ja irgendwie zusammengeführt werden müssen. Gina Mayer lässt einen auktorialen Erzähler sprechen, der sich vor allem an Elisabeths und Bettys Perspektive hält. Sein Erzählduktus ist klassisch, der Historie angemessen und wird durch wörtlich wiedergegebenen Dialekt in den Dialogen aufgelockert. Mir persönlich ist er ein wenig zu steif, doch kann ich nachvollziehen, warum sich die Autorin für diese Art des Erzählens entschieden hat. Manchmal ist es durchaus sinnvoll etwas Abstand zwischen Figur und Leser zu halten, bei mir erschwert das mitunter allerdings den Zugang zu den Charakteren und ich habe mich tatsächlich als außen vor erlebt, ohne Zugang in Elisabeth und Bettys Tiefen. Verbunden mit einigen Längen im Text ging dann auch stark die Spannung für mich flöten. Erst im letzten Drittel hat mich Gina Mayer wieder für sich überzeugen können. Hier kam endlich richtig Bewegung ins Spiel – auf beiden Zeitebenen.

Ich bin also ein wenig zwiegespalten, was diesen Roman angeht. Die Thematik gefiel mir gut, sowohl 1945 als auch 1962 wurden Aspekte im Leben von Mädchen und Frauen angesprochen, die wir uns heute in unserer emanzipierten Welt gar nicht mehr vorstellen können und die man gerade deshalb nicht vergessen sollte. Erzählerisch konnte mich die Geschichte nicht ganz überzeugen, das mag aber auch einfach an meiner momentanen persönlichen Verfassung liegen.