Rezension

Interessante, spannende, verstörende Zeitgeschichte

Die andere Hälfte der Hoffnung
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

Bauer Matthias Lessmann holt ein junges Mädchen von der Straße und rettet ihr damit das Leben. Als er sie nach einem heißen Bad mit aufgeschlitzten Pulsadern in der Wanne findet, fühlt er sich für sie verantwortlich. 
Walentyna Schtschukina wartet in der Entfremdungszone in der Nähe von Tschernobyl in der Ukraine nun schon seit einem Jahr auf ein Lebenszeichen ihrer Tochter Kateryna und beginnt, für sie ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. 
Leonid Witalijowytsch Kyjan macht sich auf die Suche nach Spuren von unzähligen jungen Studentinnen, die von deutschen Universiäten ein Stipendium und von verschiedensten Firmen einen Job angeboten bekommen haben. Diese jungen Frauen sind bis heute unauffindbar. 

Mechthild Bormann nimmt mich mit in die Entfremdungszone, die 1986 nach dem Reaktorunglück in Tscherobyl entstanden ist. Die Geschichten und Erinnerungen, die Walentyna aufschreibt, scheinen sehr gut recherchiert zu sein und haben mich doch sehr verstört. Vieles von dem, was ich hier gelesen habe, war mir nicht bekannt und geahnt habe ich es damals schon, aber es scheint die Wahrheit zu sein: wir haben sehr vieles nicht erfahren. Und auch die Menschen, die in der direkten Umgebung gelebt haben, wurden mit Lügen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten abgespeist und hingehalten. 

Die Autorin hat Walentyna eine solch plastische Sprache mitgegeben, dass mir die einsame Frau immer wieder richtig leid getan hat - damals und heute immernoch. Keine ihrer Hoffnungen hat sich erfüllt. Ihre Aufzeichnungen sind ein sehr interessantes und z.T. verstörendes Stück Zeitgeschichte. Da die Geschichte von Walentyna in der Gegenwart erzählt wird, bin ich noch mehr mitten drin. 

Aber auch der kriminalistische Teil der Geschichte, der von Menschenhandel, Prostitution und Korruption erzählt, hat mich in seinen Bann gezogen. Hier ist es Leonid Kyjan, der versucht, mit seinen Mitteln die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Auch er muss immer wieder Enttäuschungen und Rückschläge verkraften, lässt aber nicht von seinen Zielen ab. 

Überhaupt sind die Protagonisten so lebensecht, verständlich und fein ausgearbeitet, dass das Lesen von jedem Einzelnen richtig Spaß gemacht hat. Der Erzählstil bringt die Hoffnung, den Schmerz, die Trauer und auch das Gute so gut rüber, dass ich nach dem Lesen erst mal eine kurze Auszeit gebraucht habe um das alles zu verarbeiten. 

Ich habe schon lange keinen so interessanten, spannenden und emotionalen Krimi gelesen. 
Ein Buch, das meine absolute Leseempfehlung bekommt.