Rezension

Klug beobachtet, fesselnd erzählt

Nebenan -

Nebenan
von Kristine Bilkau

Bewertet mit 5 Sternen

Ein wunderbarer Roman, in dem die Zwischentöne die Melodie ergeben. Kristine Bilkau breitet ihre Erzählung so ruhig und einladend vor einem aus, dass ich mich von Beginn an wohlgefühlt habe, umgeben von ihren Worten. Sie wirft einen genauen Blick auf das, was anderswo häufig "Sozialraum" genannt wird - auf das Leben, welches um einen herum stattfindet, die Orte denen man sich zugehörig fühlt und die Menschen, deren Lebenswege die eigenen beiläufig kreuzen.

Kristine Bilkau stellt zwei Frauen in den Mittelpunkt des Romans, die an unterschiedlichen Punkten im Leben stehen und beide in das soziale Geflecht eines kleinen Ortes am Nord-Ostsee-Kanal eingebunden sind. Julia, Ende 30, mit ihrem Mann erst vor kurzem zugezogen, hat sich mit einem eigenen Keramikgeschäft einen Traum erfüllt, hegt jedoch einen bislang unerfüllten Kinderwunsch. Astrid, Anfang 60, Ärztin und Mutter von erwachsenen Kindern, steht kurz davor ihre eigene Praxis aufzugeben und mit ihrem Mann das Leben als Rentnerin kennenzulernen.

Doch es sind nicht die eigenen linearen Lebenswege, die hier im Fokus stehen, es sind die Berührungspunkte mit Menschen, die man nur flüchtig kennt und die dennoch einen impact auf das eigene Leben haben. Da ist die ältere Dame, die alleine im großen Haus wohnt und manchmal durch die Nachbarschaft streift. Der kleine Junge, der in fremden Gärten scheinbar jemanden sucht. Die Nachbarin, die nach dem Ärger mit dem Sohn wegziehen musste. Die alte Dame, die tot in der Badewanne aufgefunden wurde, von ihrem Mann erst spät vermisst. Und schließlich die Familie, die plötzlich verschwunden ist, die mit dem ruppigen Mann und der erschöpften Mutter, niemand weiß, wo sie sind.

Geschickt bespielt Bilkau die Frage, wann Sorge um einen anderen Menschen berechtigt ist, wann man Verantwortung für seine Beobachtungen übernehmen sollte und wann das eigene Interesse übergriffig wird. Es sind diese kleinen Situationen, die Unwohlsein und Sorge auslösen, die auf Gewalt gegen Frauen hindeuten, die jedoch uneindeutig genug erscheinen, um einem selbst die Wahl zu überlassen: aufmerksam hinterfragen oder unbeteiligt bleiben. Ein Buch, das fesselt und gleichzeitig sensibilisiert für das Leben "nebenan".