Rezension

Leben und Tod auf den Schären

Eis - Ulla-Lena Lundberg

Eis
von Ulla-Lena Lundberg

 

„Es gibt eine Tages- und eine Nachtseite, sie sind offen wie ein Buch und voller Heimlichkeiten … sind gut und boshaft. Nie bloß das eine oder das andere.“ 

 

Wer hier beschrieben wird, das sind die Bewohner der Örar, der in der Eiszeit geformten Inseln zwischen Finnland und Schweden, die so weit ab im Meer liegen, dass sie im Atlas nicht mehr verzeichnet sind.

Die Beschreibung der Autorin trifft allerdings genauso auf jeden von uns zu. Was mich an diesem Roman so gefesselt hat, ist Lundgrens Kunst, menschliche Eigenschaften und Handlungen wunderbar genau und liebevoll zu beobachten und auf sehr sensible Art zu erzählen.

 

Der junge Pfarrer Kummel, der in den Nachkriegsjahren auf diesen abgelegenen Inseln mit Ehefrau Mona und Töchterchen Sanna seine erste Stelle antritt, ist ein offener, einfühlsamer Mann, der sich mit dem ruhigen, eigenwilligen Menschenschlag der Schären arrangiert und gut auskommt. Mit Elan und voll Freude erarbeiten sich beide die Achtung der Einwohner: Mona als praktische, kluge Haus- und Bauersfrau, der Pfarrer in teilnehmender Gemeindearbeit und aktiver Hilfe bei der Landarbeit. Ein zweites Kind wird geboren, die Pfarrersleute haben sich eingerichtet in ihrem neuen Leben und sind zufrieden. Aber dann geschieht ein schreckliches Unglück.

 

Lundbergs Erzählton wirkt etwas spröde und sachlich, zurückhaltend, dem Wesen der Schärenbewohner angepasst. Gemächlich und ruhig entwickelt sich die Handlung, ähnlich dem Tagesablauf der Öraer, die in ihrem eigenen Rhythmus leben, dem Rhythmus, den ihnen die Jahreszeiten vorgeben. Die Existenz im Einklang mit der Natur ist hier überlebenswichtig; auf die Stimme der Natur zu hören, sich der Jahreszeit und dem Wetter anzupassen und auch den „uralten unsichtbaren Wesen“ die angemessene Achtung zu zollen.

 

Detailliert bekommt der Leser Einblick in die geheimsten Gedanken einzelner Bewohner, lernt ihre Zweifel und Kümmernisse kennen, aber auch liebevolle Betrachtungen, die keine der Personen je offen aussprechen würde.

 

Die Autorin hat keine Eile, lässt den Leser am Arbeitsalltag teilnehmen, der das Inselleben prägt. Der ruhige Erzählfluss zieht ihn unwiderstehlich mit sich. Lundgrens lebhafte Schilderungen lassen farbige Bilder im Leser entstehen; man hört förmlich die Wäsche im Wind auf der Leine knattern, sieht die Kühe zufrieden auf der Wiese wiederkäuen, riecht die kuhwarme Milch und das Heu  -  kann aber auch die unbarmherzige Kälte des nordischen Winters und die Konsistenz von Eis spüren.

 

Wenn man sich darauf einlässt, ist der Roman tatsächlich ein Genießen mit allen Sinnen!