Rezension

Leider kein absolutes Highlight

In der Stille der Polarnacht -

In der Stille der Polarnacht
von Greer Macallister

Bewertet mit 4 Sternen

Mitte des 19. Jahrhunderts wird Virginia Reeve von Lady Jane Franklin damit beauftragt, sich zusammen mit zwölf weiteren Frauen als deren Anführerin auf eine Expedition in die Arktis zu begeben, um deren Mann zu finden bzw. wenigstens dessen Schicksal zu klären, da er von seiner Expedition nie zurückkehrte. 

Es ist ein gewagtes Unterfangen, und nicht alle Frauen überleben es. Da Virginia die Verantwortung oblag, ist sie diejenige, die von der Familie einer Teilnehmerin wegen Mordes angeklagt wird. Und es scheint in diesem Prozess keineswegs darum zu gehen herauszufinden, was wirklich geschah, sondern er ist geprägt durch Lügen und Bestechung, mit dem Ziel, dass Virginia zum Tode verurteilt wird ...

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"In der Stille der Polarnacht" weist zwei große Erzählstränge auf, die einander stetig abwechseln: die Expedition sowie den Prozess. 

Sprachlich gefiel mir dieses Werk eigentlich gut, sodass ich es schon deshalb gerne gelesen habe. Allerdings mutete das Ganze stellenweise immer wieder zu modern an, sodass die entsprechenden Passagen für mich persönlich nicht mehr wirklich authentisch waren.

Der Prozess ist spannend, da Virginias Verteidiger (deutlich) hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, sie keine Beweismittel mehr zur Hand hat, alles gegen sie spricht, ihre Verurteilung und damit auch ihr Tod immer wahrscheinlicher werden. Doch insgesamt hätte ich mir von diesem Prozess noch mehr erhofft; der andere Haupterzählstrang konnte mich mehr fesseln. 

Doch auch dieser bleibt leider hinter den Erwartungen zurück: Die Expedition entwickelt sich in eine andere Richtung als erwartet. Eine der Frauen macht eine ziemliche Entwicklung durch, doch ob bzw. wie glaubwürdig diese ist, das muss jeder Leser für sich entscheiden. Insgesamt blieb mir persönlich alles zu sehr an der Oberfläche. Wir lernen keine dieser Frauen wirklich kennen; sie bleiben ziemlich blass. Dabei deutete die Autorin zu Beginn in eine ganz andere Richtung: so liebt eine dieser Frauen eine der anderen Frauen und gesteht ihr ihre Liebe. Wir erfahren nur ihre allererste kurze Reaktion darauf, im ersten Moment. Danach kommt nichts mehr, da sich nicht alle Frauen aufs Eis begeben und diese beiden zu den Frauen gehören, die mit dem Schiff zurückkehren. Ganz am Ende sitzen sie lediglich "Hüfte an Hüfte" in der Teestube, was alles und nichts bedeuten kann. -Warum baut die Autorin sowas ein, wenn sie die Sache dann völlig im Sande verlaufen lässt? Das erschließt sich mir nicht. Ich bin absolut offen für Liebesgeschichten zwischen Frauen und hätte gerne mehr darüber gelesen - doch es kam einfach NICHTS mehr. Warum in aller Welt hat die Autorin das überhaupt erwähnt? Ich verstehe es beim besten Willen nicht.

Und das ist nicht die einzige Ungereimtheit. Generell wirkt diese Geschichte öfter etwas überfrachtet, da die Autorin allzu viele Thematiken und Problematiken und auch Erzählstränge unterbringen wollte. Am meisten missfällt es mir, dass sie die meisten davon nur kurz erwähnt und nicht konsequent weiter verfolgt. Das ergibt keinen Sinn. Man hätte diese Stellen und Dinge besser gestrafft bzw. ganz weggelassen. Viele Ideen, viel Potenzial, aber die Umsetzung ist leider oft nicht zufriedenstellend. Weniger wäre in diesen Fällen mehr gewesen. 

Auch sind sowohl die Figuren als auch die Schilderungen leider nicht immer ganz glaubwürdig. Und an Klischees wird auch nicht gespart.

Es ist ein netter historischer Roman, den Leser, die historische Romane und diese Kulisse mögen, sicher ganz gerne lesen werden. Es ist jedoch leider kein solches Highlight wie erwartet und erhofft. Andere (historische) Romane, die in Schnee und Eis spielen, etwa "Heimwärts über das Eis" von Gunilla Linn Persson, "Eis" von Ulla-Lena Lundberg, "Vardø" von Kiran Millwood Hargrave oder "Die Einsamkeit der Seevögel" von Gøhril Gabrielsen, haben mir noch besser gefallen.