Rezension

Militärstädtchen Nr. 7...

Raue Havel -

Raue Havel
von Tim Pieper

Bewertet mit 5 Sternen

Hier möchte man das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen - für mich der bislang stärkste Krimi um Toni Sanftleben...

In einem alten Bootshaus an der Havel werden drei jahrzehntealte Skelette gefunden. Kurz darauf wird eine Journalistin ermordet. Sie recherchierte in einem Spionagefall aus dem Jahr 1949 um eine junge Frau, deren Identität bis heute unbekannt ist. Hängen die Todesfälle von damals und heute zusammen? Als Hauptkommissar Toni Sanftleben klar wird, dass er selbst familiär in den Fall verstrickt ist, ist es schon fast zu spät: Er bekommt es mit einem Gegenspieler zu tun, für den ein Menschenleben nicht viel zählt… (Klappentext)

Mit ‘Raue Havel’ legt der Autor Tim Pieper bereits den sechsten Band seiner Regionalkrimi-Reihe um Hauptkommissar Toni Sanftleben vor. Zwar lassen sich die Krimis unabhängig voneinander lesen, da sie in sich abgeschlossen sind, jedoch würde ich allein schon der Entwicklung der Charaktere wegen empfehlen, die Bücher in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen.

Dieser Fall beginnt relativ harmlos. Es werden in einem alten Bootshaus in Potsdam drei vor Jahrzenten begrabene Skelette geborgen. Für die Ermittler ist es ein wenig wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen - es gibt kaum Anhaltspunkte. Doch dann erfährt Toni Sanftleben, dass eine Journalistin bei dem neuen Besitzer des Anwesens mit dem Bootshaus vorstellig geworden ist. Womöglich weiß sie etwas über mögliche HIntergründe des dreifachen Leichenfunds? Doch noch bevor Toni mit der Journalistin sprechen kann, wird diese ermordet. Was hätte sie verraten können?

Geschickt verwebt Tim Pieper hier zwei Zeitebenen. Der gegenwärtige Handlungsstrang dreht sich um die Ermittlungen im Fall der toten Journalistin, wobei es schwierig ist herauszufinden, woran sie gerade arbeitete, denn alle ihre Unterlagen sind verschwunden, die Daten gelöscht. Doch so schnell geben Toni Sanftleben und seine Kolleg:innen nicht auf. Allerdings scheinen da im Hintergrund viele Fäden gezogen zu werden, um die Ermittlungen zu be- oder gar zu verhindern.

Der Handlungsstrang in der Vergangenheit geht zurück ins Jahr 1949 und führt ins Militärstädtchen Nr. 7, in die (nun ehemalige) sowjetische Geheimdienststadt in Potsdam. Eine junge Frau wird dort eingeschleust, um einen dringenden Auftrag zu erledigen, und daraus entspinnen sich ungeahnte Folgen. Folgen, die bis in die Gegenwart reichen und Toni näher betreffen als ihm lieb sein kann. Doch wer zieht nach all den Jahrzenten noch alle Register, um zu verhindern, dass aufgedeckt wird, was damals geschah?

Die stetigen Wechsel der Ebenen und Perspektiven, verbunden mit geschickt platzierten kleinen Cliffhangern, sorgen dafür, dass man das Buch bald schon nicht mehr aus der Hand legen möchte. Hinzu kommt, dass alle paar Seiten Unglaubliches geschieht. Ein Verwirrspiel der besonderen Art, und schon bald weiß Toni Sanftleben nicht mehr, wem er noch vertrauen kann, außer seinen engsten Kolleg:innen.

Hier sei an dieser Stelle v.a. Phong hervorgehoben, der diesmal eindeutig über sich hinauswächst. Wenn man diesen Charakter mal mit dem ersten Band der Reihe vergleicht: was für eine Entwicklung! Aber auch Toni hat sich deutlich weiterentwickelt, was gerade gegen Ende dieser Folge mehr als ersichtlich wird. Die Entscheidungen, die er da trifft: Hut ab!

Wie es der Zufall wollte, habe ich zumindest die erste Hälfte des Krimis während meines Urlaubs in Potsdam gelesen, ausgerechnet! So konnte ich einige der genannten Handlungsorte viel besser zuordnen, da ich sie selbst besichtigt hatte. Besonders bei dem Militärstädtchen Nr. 7 hat mich das sehr gefreut, denn so konnte ich mir die genannten Örtlichkeiten viel besser vorstellen. Aber auch die Glienicker Brücke, die das Cover ziert, war natürlich ein Teil der Besichtigungstour. Was für ein schönes Zusammentreffen! Das aber mal nur nebenher...

Alles in allem habe ich das Buch jedenfalls verschlungen. Für mich ist es der bislang stärkste Krimi um Toni Sanftleben, hervorragend konzipiert mit glaubhafter Entwicklung der Charaktere, eine gelungene Mischung aus Spannung, historischen Hintergrundinformationen und persönlichen Angelegenheiten der Figuren. Auch der Schreibstil wirkt nicht mehr so hölzern wie z.T. noch im vorherigen Band, sondern flüssig und angenehm zu lesen. Ich würde sagen: Tim Pieper hat sich freigeschwommen!

Chapeau also von meiner Seiten, und ich hoffe unbedingt, dass es noch einen Folgeband geben wird. Bitte!