Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Nicht ganz so rund wie erwartet

Der geheime Garten - Frances Hodgson Burnett

Der geheime Garten
von Frances Hodgson Burnett

Bewertet mit 3.5 Sternen

Hochdramatisch beginnt das 1911 erschienene Kinderbuch: Die durch den frühen Tod beider Eltern zur Waise gewordene Mary kommt zu ihrem unbekannten Onkel nach Misselthwaite in England. Fremd, ja geradezu abweisend ist die Umgebung, in der sich die einsame 10jährige zurechtfinden muss. Der Onkel glänzt durch Abwesenheit, die Haushälterin kümmert sich nur widerwillig um das ungebetene Kind und so beginnt Mary zunächst sich selbst überlassen durch das riesige Schloss und den großen Park zu streifen.

Doch nach und nach findet sie Gefallen an ihrer neuen Umgebung, sie schließt Freundschaft mit dem Dienstmädchen Martha und dem mürrischen Gärtner. Und schon bald sorgen ein geheimer Garten und seltsame nächtliche Geräusche im Schloss für magische Momente und kindgerechte gruselige Spannung.

Geschickt zieht Burnett ihre Leser in der ersten Hälfte des Romans in ihren Bann.

Gemeinsam mit der charakterstarken Titelheldin Mary erkundet man die fremde Umgebung und lernt die handelnden Figuren kennen. Dass Mary dabei eine sehr eigenwillige aber stets glaubhafte Figur ist, verleiht der Erzählung Burnetts viel Authentizität.

Herausragend ist auch die Rolle der Natur, der die Autorin durch ihre ausführlichen und liebevollen Beschreibungen besonderes Leben einhaucht. Der titelgebende geheime Garten ist dabei weit mehr als nur eine hübsche Kulisse. Er wird zum tragenden Symbol, zum Schlüssel, an dem sich die Auflösung der Erzählung orientiert.

Leider bewirkt das ständige Zitieren dieser Natursymbolik, dass die Erzählung ab der zweiten Hälfte sehr schnell vorhersagbar wird.  Die Anfangs so geschickt gesponnene Spannungskurve flacht schnell ab.

Eventuell wird ein junger  Leser  weniger Anstoß an dieser Vorhersagbarkeit nehmen als ein Erwachsener, aber die auffallend häufigen fast wörtlich gleichlautenden Wiederholungen bei den Natur- bzw. Gartenbeschreibungen dürfte auch die Geduld eines kindlichen Lesers stark auf die Probe stellen.

Und ein weiterer Aspekt lässt das Gesamtkonzept der an sich zauberhaften Erzählung etwas unrund erscheinen: Im Laufe der Erzählung rückt Burnett immer weiter von ihrer anfänglichen Hauptfigur Mary ab und stellt dafür ihren Freund und Cousin Colin in den Mittelpunkt. Dieser zweite Handlungsstrang verdrängt die ursprüngliche Perspektive und lässt Marys Geschichte seltsam nebensächlich versanden.

Mein Fazit: Dem Roman ist sein Alter deutlich anzumerken, was dem zeitlosen Charme der Erzählung jedoch keinen Abbruch tut. Eine lohnende Lektüre, die sich aber im direkten Vergleich mit Burnetts 'Der kleine Lord' die Kritik gefallen lassen muss, nicht das stärkste Buch der Autorin zu sein.