Rezension

Packender Lesestoff - "Schweigen der Lämmer" reloaded

Dark Call - Du wirst mich nicht finden - Mark Griffin

Dark Call - Du wirst mich nicht finden
von Mark Griffin

Bewertet mit 4 Sternen

Auch nach 30 Jahren wabert der Geist von „The Silence of the lambs“ (Thomas Harris 1988, verfilmt 1991) offensichtlich noch durch’s Genre. Mark Griffins Thrillerdebüt „Dark Call“ weist jedenfalls einige Ähnlichkeiten auf. Sogar im Finale gibt es ein kleines Lämmer-Déjà-vu.

Unterhaltsam ist „Dark Call“ aber allemal. Stilistisch betrachtet ist die Geschichte eher unausgeschmückt. Da schlägt vermutlich der Drehbuchautor in dem Briten Mark Griffin durch. Knappe Beschreibungen, viele Dialoge, zwischendurch immer wieder aufschlussreiche, forensische Fachsimpelei.

Zur Handlung: Die in Polizeidingen noch relativ unerfahrene Psychologin Holly Wakefield wird im Fall eines grausamen Doppelmordes an einem älteren Ehepaar um Hilfe gebeten. Spät abends trifft sie am Tatort ein und wird von Detective Inspector Bishop über die Einzelheiten des Falles informiert. Holly kommt zu dem Schluss, dass der Mörder bereits seit einiger Zeit tötet und ihn der Drang nach Kontrolle und Selbstinszenierung zu weiteren Verbrechen drängen wird. Sie entwirft ein erstes Persönlichkeitsprofil. Weitere Leichenfunde bringen jedoch verwirrende Details ans Licht, die Hollys Analyse in Frage stellen.

Für ganz zarte Gemüter ist das Buch wohl eher nichts. Aber Griffin weidet sich nicht am Leid der Opfer, sondern nähert sich ihm post mortem durch die pathologische Begutachtungs-Brille, nüchtern, analytisch, letztlich also mit erträglichem Abstand.

Holly Wakefield hat viel von Clarice Starling. Sie ist intelligent, willensstark mit einer zerbrechlich wirkenden Seite und einem besonderen Gespür für die Denkweise von Soziopathen. Nicht zuletzt ihre vertraute Beziehung zu einem in der Psychiatrie untergebrachten Mörder lässt an „Das Schweigen der Lämmer“ denken. Ansonsten ist Holly aber viel obsessiver und schwerer zu durchschauen. Das ist bis zu einem gewissen Grad interessant, an einigen Stellen aber überzogen. Über Hollys hauseigene Murderabilia (Killer-Andenken-Sammlung) musste ich doch grinsen, die ist fast schon humoristisch-grotesk, ebenso wie einige biografische Details. Und wenn sie Daten und Fakten zu realen Verbrechen aus dem Gedächtnis herunterspult, meint man ab und zu, es mit der „copy and paste“-Funktion der Online-Enzyklopädie zu tun zu haben. Immerhin hat der Autor Humor und baut  einige selbstironische Kommentare ein. DI Bishop: „Sie sind eine Art Wikipedia der Verdammten, stimmt’s?“

Wie bei sovielen Thrillern ist der Weg bis zur Auflösung mitreißender als die Auflösung selbst, die – kritisch hinterfragt – schon arg zusammengeklöppelt erscheint. Das ist schade, schwächt den starken Eindruck der ersten 300 von 400 Seiten aber nicht zu sehr. Trotz kleiner Parallelen zum „Schweigen der Lämmer“ packender Lesestoff. Ich freue mich auf den zweiten Band, der voraussichtlich im Frühjahr 2020 in Großbritannien unter dem Titel „When Angels Sleep“ erscheinen wird.

Kommentare

E-möbe kommentierte am 08. April 2019 um 22:00

Mein Reden.

Aber fandest du es auch bemerkenswert, wie sie am Schluss noch mit offenem Schienbeinbruch einen Marathon gerannt ist? :D

lex kommentierte am 08. April 2019 um 22:11

Superholly! :-) Ich fand auch bemerkenswert, dass der Mörder das Licht ausknipst, #findedenfehler und dann selbst nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist. Da hatte sich Jame Gumb seinerzeit besser vorbereitet mit seinem Nachtsichtgerät. Und wie man einen Menschen an die Decke klebt... naja, war wohl auch nur, damit das Blut von oben runtertropfen kann. Gleiche Szene wie im Lämmer-Fahrstuhl, nur mit weniger Sinn. Trotzdem nettes Buch. Wieder einer Meinung.

E-möbe kommentierte am 09. April 2019 um 15:12

Mit Sekundenkleber. Kennst du nicht die Uhu-Werbung: Wir können zwar nicht dafür sorgen, dass Sie Ihren nervigen Nachbarn zum Mond schießen können - aber kleben Sie ihn doch einfach an die Decke! Sieht doch auch mal ganz hübsch aus!

Von den Lämmern kenne ich nur einen Teil des Films und ich weiß nicht mal, warum nur einen Teil. Hat mich aber - laut meiner Erinnerung - nicht umgehauen.

lex kommentierte am 09. April 2019 um 21:28

Das muss wirklich sehr guter Kleber gewesen sein. Wenn man sich das vorstellt.... dieser Aufwand... die müssen die Leiche ja auch 'ne Weile festgedrückt haben, damit sie nicht direkt wieder runterkracht. :-) Was man nicht alles für ein bisschen Aufmerksamkeit tut.

"Das Schweigen der Lämmer" fandest du doof (oder das, was du davon gesehen hast)? Erstaunlich, dann liegen wir bei Filmen wohl nicht auf einer Länge. :-)

E-möbe kommentierte am 11. April 2019 um 10:44

Doof nicht. Außerdem ist das gefühlte hundert Jahre her. Aber bei Filmen langweile ich mich eh schnell. Im Gegensatz zu Büchern, bei denen ich fast ein fotografisches Gedächtnis zur Handlung habe, vergesse ich auch schnell, was ich da gesehen habe. Vielleicht muss ich es noch mal (und dann ganz) ansehen.

lex kommentierte am 12. April 2019 um 09:56

Deswegen musst du soviel lesen... ;-) Mir kann man dasselbe Buch ein Jahr später in die Hand drücken und es ist wie's erste Mal, weil ich schon wieder soviel vergessen habe. Ja, schau dir die Lämmer irgendwann mal an. Alleine schon wegen Jodie Foster und Anthony Hopkins.