Rezension

Reise in die ukrainische Geschichte

Wären wir Vögel am Himmel -

Wären wir Vögel am Himmel
von Erin Litteken

Bewertet mit 4 Sternen

Auch in ihrem zweiten Roman verarbeitet Erin Litteken ein Stück ihrer ukrainischen Familiengeschichte. Diesmal wird der Zeitabschnitt 1941-49 behandelt. Erzählt wird abwechselnd aus den Perspektiven von Halya, Lilija und Vika, dadurch kann man sich dem Figuren gut nähern und die Handlung bleibt abwechslungsreich und wird von verschiedenen Seiten beleuchtet. Die Romane sind unabhängig voneinander.

Lilija hat bis auf den Vater ihre Familie verloren und ist traumatisiert. Ihr Vater überlässt den Familienhof dem Schwager Maksim und seiner Frau Vika. Er versucht mit Lilija in der Stadt neu anzufangen. Als er kurz darauf dort den Tod findet, schleppt sich Lilija zurück nach Hause und wird dort von der Familie aufgenommen wie eine Tochter. Diese kleine Gemeinschaft erlebt in kurzer Zeit sehr viel Leid, Angst und Not. Nachdem die Russen das Land verlassen haben und der Holodomor noch in den Köpfen ist, sind die deutschen Befreier doch keine Freunde, sondern schlimme Besatzer, die ebenso wie die Russen grausam gegen die Bevölkerung wüten. Die Polen im Land sind ebenfalls mit den anderen Parteien verfeindet und so kämpfen die unterschiedlichsten Gruppierungen gegeneinander. Freundschaft und Mitgefühl sind selten und daher besonders kostbar.

Lilija und ihr Cousin Slavko werden als Ostarbeiter nach Leipzig verschleppt, auf dem Transport lernen sie das 11-jährige Mädchen Halya kennen. Sie bilden bald schon eine Gemeinschaft, um einander zu stärken und zu stützen. Die Bedingungen im Arbeitsalltag sind grausam. Vika erfährt, wo die Kinder sind und macht sich mit der Familie auf den Weg nach Westen, um die Familie hoffentlich wieder zu vereinen und um den nahenden Russen zu entkommen. Auch ihre Erlebnisse sind hart mitzuerleben.

Die drei Frauen sind sehr starke Persönlichkeiten und versuchen jede auf ihre Art die kleine Sippe, die sie um sich haben zu schützen und zusammenzuhalten. Bis sich alle irgendwo in Deutschland wiedertreffen, neigt sich der Krieg dem Ende zu und die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge werden immer prekärer. Die Autorin hat kein heftiges Gräuel aus dieser Zeit ausgelassen, was nur halbwegs auf den Weg und in die Zeit passt. Gegen Ende war es ein wenig viel des Guten, dass wirklich alles mitgenommen wurde. Sicherlich stellt dies gut die Situation dar, aber aufgrund der Masse ist es zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Aneinanderreihung von schrecklichen Erlebnissen, die emotional nicht mehr transportiert wird. Hier wäre ein bisschen weniger vielleicht mehr gewesen, vor allem wenn man dies in die Ausgestaltung der Figuren investiert hätte, die teilweise etwas blass ausgestaltet waren. Sprachlich lässt sich der Roman trotz der heftigen Schilderungen gut lesen, teilweise geht es etwas zu poetisch zu, aber das ist Geschmacksache. Das Lektorat hat leider einiges an Fehlern übersehen, da muss man drüber weg lesen. 

Insgesamt ein informativer Roman, der mit einer historischen Vorbemerkung der Autorin begonnen und ebensolchen Anmerkungen abgeschlossen wird, die viele relevante Fakten enthalten, die das Einordnen ins Zeitgeschehen erleichtern. 

Trotz der kleinen Kritikpunkte habe ich den Roman sehr gerne gelesen. Der Titel erklärt sich im Verlauf der Handlung und auch die schöne Ausstattung des Buches mit Leseband gefallen mir gut. Tragisch ist der Bezug, der zu der heutigen Situation hergestellt werden kann. Unglaublich wie leidgeprüft dieses Land und seine Bewohner sind. Der Wille zum Widerstand spielt hier immer wieder eine Rolle und wird auch für das Heute verständlicher denn je. 

Eine beeindruckende Familiengeschichte, die ausführlich ein Stück Zeitgeschichte der Ukraine vorstellt. Lesenswert