Rezension

Schafzucht - Wolfstourismus - oder Aufgeben?

Von Norden rollt ein Donner -

Von Norden rollt ein Donner
von Markus Thielemann

Bewertet mit 5 Sternen

Jannes Kohlmeyer und seine Familie züchten  in der Lüneburger Heide u. a. Heidschnucken, eine Schafrasse, die gerade genug Milch für die Jungtiere produziert und deren Wolle sich im Textilhandwerk nur schwer verarbeiten lässt. Das historische Niedersachsenhausen mit Pferdeköpfen am Giebel liegt direkt neben dem Testgelände der Firma Rheinmetall. Zwischen Bergen, Münster und Unterlüß kann man Berufssoldat werden, in der Verteidigungsindustrie arbeiten oder Schafe züchten. Jannes hat Viehwirt gelernt und sich nie etwas anderes vorgestellt als den Familienbetrieb zu übernehmen. Auch seine Eltern und Großvater Wilhelm werden als Arbeitskräfte gebraucht und müssen auf dem Hof ihren Lebensunterhalt erwirtschaften. Als Jannes ungewöhnlich große Pfotenabdrücke  entdeckt, könnte das das Ende seiner Lebensplanung bedeuten; das Thema Wölfe ist aus den Sozialen Medien direkt  auf den Kohlmeyer-Hof gerückt. Wilhelm, offiziell noch Hofbesitzer, will von Experimenten wie Touristenzimmern oder Hofladen nichts hören. Zum Wolfsthema vertritt er souverän, dass Viehzucht, Tourismus und Wölfe nicht nebeneinander existieren können und man schließlich früher Wölfe durch Bejagung vergrämt hätte. Außerdem hätten sich Schafhalter zunächst um die Deichpflege zu kümmern. Da Jannes Großmutter mütterlicherseits  wegen Altersdemenz kürzlich in ein Pflegeheim ziehen musste und sein Vater Friedrich für einen erfahrenen Viehzüchter beunruhigende Ausfälle zeigt, fühlt sich Jannes gleich von mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Wenn Friedrich als Arbeitskraft ausfällt und der Jungbauer  sich nicht mit Wilhelm über die Zukunft des Hofes einigen kann, sieht es schlecht aus für Jannes. Während die Nadeln, mit denen Friedrich die Wolfsbegegnungen kartiert, dem Kohlmeyer-Hof unangenehm näher rücken, wird Jannes von unheimlichen Gestalten heimgesucht, die offenbar  einen Bezug zu Jugenderlebnissen seiner Großmutter haben und zur Vergangenheit des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Da Jannes keinen Kontakt zu seinem leiblichen Vater hat, kann er noch nicht einmal nach einer evtl. ererbten Disposition für psychische Krankheiten forschen.

Dass niemand bisher von der Begegnung mit Zwangsarbeitern oder der Befreiung des Lagers erzählt hat, scheint schwer vorstellbar. Mutter Sibylle windet sich geradezu klassisch heraus, Jannes wäre ja mal mit der Schule auf dem Lagergelände gewesen.

Fazit

Markus Thielemann verknüpft mit Focus auf einen 19-jährigen Schafzüchter den nicht ungewöhnlichen Übernahmekonflikt der Familie Kohlmeyer  mit dem existenzbedrohenden Wolfskonflikt, der Last zusätzlicher Care-Arbeit, dem Schweigegebot zum Thema Arbeitslager und Zwangsarbeit und  den beinahe mystischen Visionen von Jannes. Auch wenn die Menschen fortziehen, bleiben Geister dem Boden verbunden, lehren uns indigene Völker – das trifft hier  auf die sagenumwobene Heidelandschaft zu. Beeindruckt hat mich besonders die empathische, überzeugende Darstellung des Angebundenseins durch Verantwortung für Familie und Tiere, eine Verantwortung, die nicht einmal Raum für das Probieren  neuer Geschäftsideen lässt.