Rezension

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Schwarzmarkt und Wirtschaftswunder

Die im Dunkeln sieht man nicht - Andreas Götz

Die im Dunkeln sieht man nicht
von Andreas Götz

Bewertet mit 4 Sternen

Ewiggestrige und Vorwärtsblickende, Menschen, die die Vergangenheit verdrängen und solche, die von ihrer Last weiter geprägt sind - mit "die im Dunkeln sieht man nicht" hat Andreas Götz einen historischen Kriminalroman geschrieben, der im München des Jahres 1950 spielt und damit in einer Zeit voller Schnittpunkte: Die Bundesrepublik ist noch ganz jung, die Nachkriegszeit neigt sich dem Ende entgegen und werden nicht nur vom absehbaren Wirtschaftswunder, sondern auch vom kalten Krieg abgelöst. Noch gibt es den Schwarzmarkt, doch außer den Trümmern gibt es Neubauten, Moderne, Aufbruch, 

Die einen wollen alles vergessen, die anderen können es nicht - so wie Karl Wieners, der im Krieg Frau und Kinder verloren hat und aus Berlin in seine Heimatstadt München zurückkehrt. Ein alter Schulfreund will ihn für eine neue Zeitschrift rekrutieren und hat auch gleich einen Reportageauftrag: Karl soll einen Kunstdiebstahl aus den letzten Tagen recherchieren, damals verschwand aus dem Münchner Führerbunker jede Menge zuvor von den Nationalsozialisten gestohlene Raubkunst.

In München leben nicht nur Karls Mutter und jüngerer Bruder, zu denen er ein eher entfremdetes Verhältnis hat, sondern auch Nichte Magda, die Tochter seines ältesten Bruders, die ihn als Kind regelrecht angeschwärmt hat. Mittlerweile ist sie eine attraktive und selbstbewusste junge Frau, die mehr als nur das Interesse der kleinen Nichte an ihm zeigt und ihm auf eine Art gefällt, die Karl selbst erschreckt. Magda ist die vielleicht interessanteste Figur des Romans, eine Frau, die sich geradezu aggressiv nimmt, was sie will, die gelernt hat, mit Schwarzmarktgeschäften zu überleben, die so gar nicht dem Frauenbild der 50-er Jahre entspricht,  knallhart sein kann und ihren Sex-Appeal überall einsetzt, wo sie darin einen Vorteil sieht.

Um gestohlene Kunst geht es auch Karls Schulfreund Ludwig, der bei der Münchner Kriminalpolizei ist und einen Mordfall untersucht. Ein Beamter aus dem Raubdezernat soll die Ermittlungen unterstützen. Da dieser Ermittler im Wirtshaus von Karls Familie lebt, könnte auch er eine Informationsquelle für die Recherchen sein, zeigt aber vor allem Interesse an Magda.

Persönliches und Dienstliches vermischen sich bei Recherchen und Ermittlungen und angesichts des Personenkarussels dieses Romans muss der Leser erst einmal sortieren - wer ist wichtig, wer ist eine Randfigur, wer dient nur dazu, den Plot voranzubringen? Das erotische Knistern ausgerechnet zwischen Onkel und Nichte ist nicht nur für Karl eher verstörend. Die Atmosphäre der Zeit ist allemal interessant und der Wendepunkt zwischen reinem Überleben und Aufbruch in eine bessere Zeit gut gezeichnet, etwa in der Figur des Großschiebers Blohm, der von der Schwarzmarkgröße zum Wirtschaftskapitän umsatteln will. 

Spätestens seit dem Fall Gurlitt dürfte das Thema Raubkunst auch bei historisch weniger beschlagenen Lesern angekommen sein. Die Gier nach dem schnellen Geld, vergangenes Unrecht, aber auch Verdrängung und Rache spielen in "Die im Dunkeln sieht man nicht" eine Rolle. Spannendes Setting - und da im Nachwort eine Fortsetzung in Aussicht gestellt wird, kann man gespannt sein, wie die weitere Entwicklung aussieht.