Rezension

Schwierige Ermittlungen

Stille Havel - Tim Pieper

Stille Havel
von Tim Pieper

Bewertet mit 5 Sternen

„...Mit den Wohlfühlfilmen wollen wir dem Zuschauer eine Oase bieten, wo er Kraft tanken kann. Wenn er das Kino verlässt, soll er denken, dass alles nicht so schlimm ist. Ausgeruht soll er sich an sein Tagwerk begeben, das unserer Wehrkraft dient...“

 

Kriminalkommissar Toni Sanftleben ist bei Staatsanwältin Caren Winter zu einem Brunch eingeladen. Normalerweise ist das nicht seine Welt. Deshalb kommt ihm ein Anruf gerade recht. Im Park von Sanssouci hat man eine männliche Leiche gefunden. Es handelt sich um den 60jährigen Helmut Lothroh, einen Kunstsachverständigen.

Der Autor hat einen fesselnden Krimi geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Das liegt auch an dem historischen Hintergrund, der die Ermittlungen begleitet.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Er passt sich gekonnt der jeweiligen Situation an.

Bei den Ermittlungen stellen Toni und sein Team fest, dass sich der Tote für ein spezielles Gemälde interessiert hat. Dort wird eine Frau mit Schleier abgebildet. Ihre Identität ist nicht bekannt.

Das Leben der Frau namens Lydia erfahre ich in dem Erzählstrang, der im Jahre 1938 in einer Leipziger Kneipe beginnt. Die Tochter des Wirtes will mehr aus ihrem Leben machen. Sie hat das Regime des prügelnden Vaters satt. Ihr Weg führt sie im Jahre 1942 zur Ufa. Hier zeigt sich die exakte Recherche des Autors. An mehreren Lebensbildern macht er deutlich, wie Goebbels die Ufa zu einem Instrument der Manipulation gestaltet hat. Das Eingangszitat hat der Autor Goebbels in den Mund gelegt.

Der Preis, den die Schauspielerinnen für den Erfolg zahlen, ist hoch. Die Protagonistin aber fasst das so zusammen:

 

„...Jetzt durfte sie nicht verzagen und sich nicht um den Erfolg bringen. Jetzt musste sie ihren Weg weitergehen. Zäh, mutig und entschlossen...“

 

Gerade im Teil, der in der Vergangenheit spielt, legt der Autor viel Wert auf die Emotionen der Protagonisten. Der innerer Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach einem Leben in Sicherheit und den Dingen, die man dafür tun muss, wird gut herausgearbeitet. Es ist ein Balancieren am Abgrund.

An anderen Stellen zeigt der Autor, dass er das Spiel mit Metaphern ausgezeichnet beherrscht, vor allem wenn Toni eine ruhige Stunde in der Natur verbringt.

 

„...Das Wasser war spiegelglatt, nur an einigen Stellen kräuselte es sich. Die Sonne schickte die ersten Sonnenstrahlen aus, die wie goldenen Speere über den Himmel schossen...“

 

Die Ermittlungen selbst erweisen sich als schwierig. Zum einen blocken viele der Befragten ab, zum anderen ist in Tonis Team momentan eine miserable Stimmung, denn Phong bringt alle gegen sich auf. Nicht zuletzt hat die Spur in die Vergangenheit noch eine Menge weiterer Facetten. Der Tote ging davon aus, dass die Frau auf dem Gemälde Hinweise über das verschwundene Nazigold hat.

Zu den stilistisch und inhaltlich spannendsten Teilen gehören die Gespräche, sei es in Gegenwart oder Vergangenheit. in dem Gespräch, das Toni mit dem Antiquar Werg führt, wird zum Beispiel das Verhältnis zwischen Goebbels und Göring beleuchtet. Ein weiterer Zeuge gibt Auskunft über die Suche nach verschwundenen Gold und anderen Werten zu DDR-Zeiten. Und eine Frage wird von Lydia mehrmals angesprochen. Sie wird sie bis an ihr Lebensende begleiten. Warum hat Magda Goebbels ihre Kinder mit in den Tod genommen?

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich kann es nur jedem empfehlen, der nicht nur an einem fesselnden Krimi interessiert ist, sondern sich auch einen unverstellten Blick auf die Geschichte der Ufa im Dritten Reich gönnen möchte. Ich bin mir bewusst, dass ich in meiner Rezension der Vergangenheit den größeren Raum eingeräumt habe. Sie ist es, die die Gegenwart durchzieht und nicht nur die Richtung der Ermittlung bestimmt. Mit einem Zitat von Lydia möchte ich enden, dass nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat:

 

„...Ich bin keine Närrin. Ich weiß, dass Politiker Krieg führen, aber können sie sich nicht irgendwo in der Pampa treffen und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen? Muss es immer auf Kosten der Schwächsten gehen?...“