Rezension

Sehr berührend! Ein fast vergessenes Versprechen führt Schicksale zusammen!

Zwischen uns ein ganzes Leben - Melanie Levensohn

Zwischen uns ein ganzes Leben
von Melanie Levensohn

Bewertet mit 4 Sternen

Montreal 1982

Für Jacobina ist es mehr ein  Pflichtgefühl als ein Bedürfnis ihren alten Vater im Krankenhaus zu besuchen. Doch der Anblick eines Bildes, das den Eifelturm in Paris zeigt führt dazu, dass Lica ihr im Angesicht des Todes ein lang gehütetes Geheimnis offenbart. Eine verlorengegangene Vertrautheit kommt wieder zwischen ihnen auf, als er sie wegen seiner begangenen Fehler um Verzeihung bittet und ihr ein Versprechen abnimmt. Jacobina soll sich auf die Suche nach ihrer Halbschwester Judith machen, die er als junges jüdisches Mädchen alleine in Paris zurückgelassen hat.

Durch eine schicksalhafte Fügung begegnen sich Jacobina und Beatrice Jahre später in Washington. Die junge erfolgreiche Französin unterstützt die hilfsbedürftige alte Frau und es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden. Als Jacobina erkrankt, erinnert sie sich an ihr fast vergessenes Versprechen und beide machen sich auf die Suche nach Judith. Kein einfaches Unterfangen, da ihnen nur ein verzweifelter Brief von Christian an seine Judith zur Verfügung  steht und sie sich mit dem Holocaust konfrontiert sehen.

„Zwischen uns ein ganzes Leben“ ist ein bewegender und fesselnder Roman auf zwei verschiedenen Zeitebenen, der einen durch die sehr feinfühlige und authentische Erzählweise der Autorin gefangen nimmt. Sehr bedrückend und atmosphärisch kommt die Lebensgeschichte von Judith rüber, die in der Ich-Form erzählt wird und wahre Begebenheiten enthält. Im Jahr 1940 erlebt sie in Paris als Literaturstudentin die ersten Auswirkungen des herannahenden Krieges, der nationalistischen Bewegungen und  die furchtbaren Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung. Ihr einziger Lichtblick ist ihre große Liebe zu Christian, einem Sohn aus gutem Hause, der sie vor der sich zuspitzenden Situation schützen will und dafür eine gemeinsame Flucht plant. Doch an besagtem Tag ist Judith auf einmal spurlos verschwunden und ahnungsvoll  denkt er nur an das Schlimmste. Für mich ist ihre Geschichte der stärkste und beeindruckenste Erzählpart im Buch, bei dem ich mit ihr gelitten, gefühlt und ein bisschen Hoffnung gehabt habe.

Ihre Spuren versuchen Jacobina und Beatrice gemeinsam  2006 im Erzählpart in der Gegenwart zu finden. Für beide ist es in ihrer derzeitigen Lage eine glückliche Fügung, dass sie sich kennengelernt haben und eine Freundschaft zwischen ihnen entsteht, da ihre Lebenssituationen nicht gerade rosig aussehen. Hier hat die Autorin zwei interessante Charaktere erschaffen, die erst eine freudlose und bedrückende Ausstrahlung haben, sich aber im Laufe der Geschichte in ihrem Wesen ändern. Trotzdem blieb eine gewisse emotionale Distanz beim Lesen zwischen ihnen und mir. Bei ihrer Suche nach Judith  lernt Beatrice Gregoire in der Bibliothek des Holocaust Museums kennen und sofort springt der Funke bei ihnen rüber. Doch keiner kann ahnen, dass auch bei dieser Begegnung das Schicksal seltsame Wege geht.

Wunderschön hat Melanie Levensohn den Abschluss ihres Buches gestaltet. Beim Vorlesen von Judiths ersten Einträgen aus ihrem Tagebuch kommt alles Gelesene wieder hoch und unterstreicht ihre bewegende Geschichte.

Mein Fazit:

Mit „Zwischen  uns ein ganzes Leben“ hat mir Melanie Levensohn viele schöne und bewegende Lesestunden geschenkt. Judiths Schicksal hat einem noch einmal vor Augen geführt, wie grausam die damalige Zeit war und wie wichtig es ist, dass solche Lebensgeschichten zum Andenken an die Opfer und Hinterbliebenen erzählt werden.