Rezension

Selection Day

Golden Boy - Aravind Adiga

Golden Boy
von Aravind Adiga

Seit seinem Debut „The White Tiger“ bin ich ein großer Fan von Aravind Adiga. Auch sein mittlerweile viertes Werk und sein dritter Roman, „Golden Boy“ (den englischen Originaltitel „Selection Day“ finde ich viel passender) hat mich nicht enttäuscht.

Schauplatz der Geschichte ist zum größten Teil Indien, Mumbai. Der vierzehnjährige Manjunath Kumar, genannt Manju, wächst mit seinem älteren Bruder Radha und seinem ehrgeizigen Vater im Slum auf. Offiziell ist das Kastenwesen in Indien verboten und abgeschafft, aber die Tatsache, dass der Vater ein Chutneyverkäufer ist, verweist neben dem Leben im Slum klar auf den ausgesprochen niedrigen sozialen Status der Kumars.

Der Vater ist eine wahre Eislaufmutter und möchte seinen Traum vom sozialen Aufstieg mithilfe seiner Kricketaffinen Söhne verwirklichen. Mit Drill und Gewalt sollen sie die besten Schlagmänner Indiens werden. In einem der beiden Söhne steckt mindestens ein neuer Sachin Tendulkar, davon ist Vater Mohan felsenfest überzeugt! Kricket  soll die Eintrittskarte in ein besseres Leben sein. Manju hat aber eigentlich noch andere Interessen – er ist auch fasziniert von Naturwissenschaften und  amerikanischen Serien. Manju ist eigentlich noch auf der Suche nach sich selbst; als eine Art Katalysator fungiert schliesslich Radhas Rivale, ein privilegierter und wohlhabender Junge, der so selbstbewußt ist, wie es Manju qua Geburt nicht sein kann. Alle glauben zu wissen, wer Manju wirklich ist – der Vater, die Trainer und Talentscouts. Doch als Manju langsam erwachsen wird, muss er eigene Entscheidungen treffen, und manche Träume zerplatzen wie Seifenblasen.

„Golden Boy“ hat mir sehr gut gefallen, auch stilistisch und sprachlich. Adiga schreibt mit Witz und Chuzpe, er entwirft nachdenkliche und teils skurrile Situationen. Ich denke aber, dass der Roman auf Englisch noch besser wirkt.

Natürlich kritisiert er spezifisch indische Mißstände. Armut und Reichtum treffen wohl nirgends auf der Welt so krass aufeinander wie in Indien. Adigas Gesellschaftskritik betrifft eine Gesellschaft mit patriarchalen Strukturen, in welcher die Eltern immer noch das letzte Wort haben. Aber er spricht auch globale Probleme an – wie steht es wirklich um die soziale Aufwärtsmobiltät und wieso scheint Sport für ärmere Schichten oft das einzige Mittel zum Erklimmen der sozialen Leiter zu sein? Die Schwierigkeit, sich selbst zu definieren, ist sicher auch keine spezifisch indische. Ich finde es unglaublich mutig von Adiga, dass er hier die „heilige Kuh“ Kricket mit Homosexualität in Verbindung bringt.

Durch einen Paragraphen, der noch aus der Kolonialzeit stammt, steht Homosexualität in Indien noch unter Strafe.

Doch wird Homosexualität in der sogenannten westlichen Welt wirklich vorbehaltlos toleriert, gerade im Profi-Sport mit seinem Geflecht aus Sponsorenverträgen und Talentscouts? Es ist bezeichnend, dass sich sehr wenige Fußballer je geoutet haben, und falls sie sich geoutet haben, dann meist nach dem Ende ihrer aktiven Karriere.

Eine anglophone Leserschaft wird mit dem Sport Kricket vielleicht mehr verbinden als ein Kontinentaleuropäer. Adiga erklärt den Sport in seinem Roman auch nicht en détail; dennoch kann man als Leser zwischen den Zeilen viele kleine Weisheiten entdecken. Es werden Fragen aufgeworfen, die ich persönlich nicht nur mit der indischen Kultur in Verbindung bringe. Wenn man sich aber für Indien oder Kricket so gar nicht erwärmen kann, wird man an „Golden Boy“ vermutlich keine Freunde haben.

Ich habe den Roman aber sehr gerne gelesen, auch wenn es gewisse Längen in der Erzählung gab. Das Fehlen eines klassischen happy endings spricht auch für die Qualität des Romans. Im Leben gibt es leider oft keine einfachen Lösungen, völlig unabhängig von Herkunft oder Nationalität.

Fazit:

Ich vergebe für „Golden Boy“ von Adiga 4,5 von insgesamt 5 möglichen Sternen und spreche trotz des etwas sperrigen Kricket-Themas eine Leseempfehlung aus!