Rezension

Skurriler - gelungener Hamburg-Krimi mit Flair vom 'Kiez' - LESEN!

Blaue Nacht - Simone Buchholz

Blaue Nacht
von Simone Buchholz

Bewertet mit 4 Sternen

Der Hamburg Krimi "Blaue Nacht" von Simone Buchholz ist im Suhrkamp-Verlag (März 2016, broschiert) erschienen und mein erster Kriminalroman dieser Autorin - sicher aber nicht der letzte....

Nachdem Staatsanwältin Chastity Riley einen Vorgesetzten der Korruption überführt hat, wird sie jetzt Opferschutzbeauftragte und damit offiziell kaltgestellt. Da ist es fast ein Glück, dass zu jedem Opfer ein Täter gehört. Und so bringt ein Mann, dem fast alle Knochen gebrochen wurden, Riley auf die Spur eines Schurken, dem seit Jahrzehnten niemand auch nur eines seiner Verbrechen nachweisen konnte - diesmal aber könnte alles ganz anders werden.... (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Von der ersten Seite an liest sich dieser Hamburg Krimi, der in St. Pauli auf dem Kiez verortet ist, spannend und besticht durch die gelungene Mischung aus Poesie und Direktheit; ist dabei wortgewaltig und herrlich schnoddrig. Tiefgang fehlt ihm keineswegs und der Aufbau der Krimihandlung ist durch die stilistische Ausgefallenheit und Sprache der Autorin (stakkatoartige Sätze, die jedoch immer ins Schwarze treffen, knapp und sachlich, dabei teils poetisch, teils spröde, sehr interessant, da sich die Figuren in eigenen Kapiteln  selbst vorstellen... Der staubtrockene Humor von Riley, die auf den Fall des Mannes mit den gebrochenen Knochen angesetzt wird und ihm - sehr menschliche Züge aufweisend - einige Köstlichkeiten und Alkoholika ans Krankenbett bringt, in der Hoffnung, dass er dann eher plaudert, ist immer wieder spürbar: So beschreibt sie etwa einen 'knitterfaltigen März' oder auch prägnant in skurrilen Bildern, wie ihr Kopf das Erlebte verarbeitet: 
" In meinem Kopf sind ein paar kleine Gabelstapler damit beschäftigt, die Bilder in geheime Regale zu sortieren, an die ich so schnell nicht mehr rankomme. In ein paar Tagen werden wir sehen, ob das geklappt hat" (Zitat S. 148)

Poetische Bilder in hartem Krimi-Kontext lassen diesen Krimi förmlich auf der Leserzunge zergehen - die Spannung hält bis zum Schluss und wird noch gesteigert, als sich die Kreise enger ziehen...
Simone Buchholz hat einen Schreibstil, der mir neu war und mich umgehauen, begeistert hat: Tough, straight - mit wenig Worten wird alles auf den Punkt gebracht, jedoch ist auch die Verletzlichkeit, Menschlichkeit und Emotion immer dahinter zu spüren. Letzteres hat mir außerordentlich gut gefallen, so dass ich gerne zu den Vorgängern greife, die ich noch nicht kenne.

Fazit:

"Blaue Nacht" ist in einem außergewöhnlichen Stil geschrieben, der sich stark  von der Einheitslektüre abhebt; auch geht es inhaltlich um allzu Bekanntes aus dem kriminalistischen Milieu, das mir als Krimifan zu denken gibt und auch Gesellschaftskritik berührt - alle angeht, nicht nur Staatsanwälte und gute Cops: Für die gelungene Mischung des "ständigen Wechsels zwischen spröder Realität und poetischen Bildern" (O-Zitat Wotan Wilke Möhring), dem ich mich nur anschließen kann, gibt es 4 Krimisterne und 89° auf der Krimi-Couch von mir mit einer klaren Leseempfehlung, nicht nur für Hamburg-Fans!