Rezension

spannender Auftakt trotz kleiner Schwächen

Palace of Glass - Die Wächterin
von C. E. Bernard

Selten hat mich ein Buch so dermaßen zwiegespalten zurück gelassen, wie „Palace of Glass“. Ich fand das Buch großartig, teilweise aber nicht gänzlich ausgereift.

Die Thematik fand ich ziemlich grandios!

Stellt euch das London der Zukunft vor: alle Menschen müssen sich hoch-geschlossen kleiden, dürfen wirklich niemals schlichte Klamotten tragen, die sie sich selber aussuchen, sondern nur extrem komplizierte und vorgeschriebene Kleidung, die an die Renaissance-Zeit erinnert.

Handschuhe sind stets ein Muss und die Hände müssen immer hinten am Rücken gehalten werden, denn Berührungen jeglicher Art sind vom Königshaus strengstens verboten worden und werden geahndet!

Schuld daran sind die sogenannten „Magdalenen“, vor denen sich die Menschen schützen müssen, denn Magdalenen können Gedanken lesen und Gedanken manipulieren und das nur über eine einzige kleine Hautberührung.

Ich bin auch beim Lesen von Fantasy-Büchern absolute Realistin und alles muss bei mir so umgesetzt werden, dass ich es mir tatsächlich auch vorstellen kann.

Glaubt mir, das konnte ich von der Szenerie und der Atmosphäre tatsächlich, obwohl es hin und wieder wirklich sehr schwierig war, ein inneres Bild abzurufen. Jedoch ist der Schreibstil der Autorin sehr ausführlich, intelligent und bildlich, wenn auch ziemlich speziell, gerade was die Darstellung der Gefühle der Hauptprotagonistin an geht.

In der ersten Hälfte des Buches war es mir sogar fast zu umfangreich an Informationen, denn C.E. Bernhard hat sehr viel Zeit investiert, uns die Regeln vom neuen London und die unterschiedlichen Abstufungen der Magdalenen so nahe zu bringen, dass ich persönlich leicht überfordert mit den vielen Eindrücken und Erklärungen war.

Was mir dafür gefehlt hat, war eine kleine Information, warum in weniger als 40 Jahren tatsächlich wieder die Monarchie in Europa herrscht, warum zwar eine hoch-bedeckte Kleidung erforderlich ist, aber das nur in London und nicht überall auf der Welt so ist.

Am befremdlichsten fand ich es persönlich, dass diese Kleidung so hochkompliziert und altertümlich geworden ist …

Rea lebt in der Zukunft, ständig nimmt sie ihr Tablett oder Handy in die Hand und im nächsten Moment muss sie ihre schweren Röcke raffen und jemand hält ihr die Schleppe … Damit hatte ich tatsächlich so meine Schwierigkeiten. Wären in 40 Jahren nicht eher Rollkragenpulli oder hautenger Körperanzug als Komplett-Körperschutz logisch? Das ist aber nur mein persönliches Empfinden gewesen und nicht jeder wird damit ein Problem haben, da es ja grundsätzlich auch inhaltlich nichts mit der Geschichte zu tun hat.

Das Leben von Rea kommt wirklich toll rüber! Ihr müsst wissen, dass Magdalenen regelmäßigen Hautkontakt brauchen, um nicht „durch zu drehen“. Sie brauchen ihn, wie die Luft zum Atmen!

Ihr könnt euch also vorstellen, was das generelle Berührungsverbot in ihnen aus löst.

Rea wirkt wie ein unterdrücktes, schüchternes Reh, doch man spürt ganz genau, dass sie in ihrem Inneren kämpft und ausbrechen möchte. Das hat die Autorin ganz fantastisch rüber gebracht, denn in Rea steckt absolut eine Kämpferin.

Rea macht im Laufe des Buches eine tolle Entwicklung durch. Allerdings ging mir hier die Wandlung von Rea zu schnell und teilweise nicht nachvollziehbar von statten. Im einen Moment sieht sie z.B. schockiert und tugendhaft zu Boden, als sie ein Stück nackte Haut sieht und ein paar Seiten später ist es für sie selbstverständlich, diese zu berühren. Ich habe die Beweggründe dazu durchaus verstanden, aber in der Umsetzung hat mir da ein näheres Heranführen gefehlt, damit es tatsächlich authentisch wirkt.

Auch der Kronprinz hat so seine Geheimnisse und man spürt seinen innerlichen Zwiespalt sehr gut und deutlich. Ich mochte ihn sehr, er passt sich zwar an, wirkt aber dennoch rebellisch, scharfzüngig und wünscht sich ein freieres Leben.

Die Geschichte hat so einige Geheimnisse und Verschwörungen zu bieten, sie ist teilweise knallhart, teilweise überaus prüde, aber stets wird ein eindeutiges Ziel verfolgt: Die gefürchteten Magdalenen müssen ausgelöscht werden!

Es gab zwischendurch noch so ein paar Logiklücken für mich und Ereignisse, die ich schwer nachvollziehen konnte in der Umsetzung. Diese wurden aber alle durch das extrem gute Ende aufgelöst oder entschädigt!

Ja, das Ende war für mich nicht vorhersehbar und hat mich über einige Kritikpunkte hinweg getröstet!

Ich ahne, dass es in Band zwei ordentlich zur Sache gehen wird! Der erste Teil war ja irgendwie noch ein schüchternes Herantasten an die neue Welt. Eine Welt, die zwar absolut unterdrückt wird, es aber bereits in allen Ecken nach Rebellion schreit.

So erwartet uns in Teil zwei nun sicher ein Spektakel an Mut und Kampfgeist.

Ich bin sehr gespannt darauf, obwohl es keinen fiesen Cliffhanger am Ende gab.

Fazit

Ein überaus spannender Auftakt einer Fantasy-Trilogie!

In der ersten Buchhälfte liest es sich etwas zäh und kompliziert durch die vielen Erklärungen der Regeln in der neuen Welt, doch die Atmosphäre lockert sich schlagartig und bleibt so bis zum Ende hin.

Starke Protagonisten und Nebenprotagonisten erwarten euch in einer Geschichte über Macht, Unterdrückung und Rebellion.

Obwohl ich einige Kritikpunkte habe, hat mich dieses Buch sehr gefesselt und begeistert und es bekommt eine Leseempfehlung von mir.