Rezension

Thema gut - Umsetzung nicht

Tiere essen - Jonathan Safran Foer

Tiere essen
von Jonathan Safran Foer

Bewertet mit 3 Sternen

Ich möchte keinesfalls abstreiten, dass der Autor Jonathan Safran Foer mit seinem Buch "Tiere essen" ein wichtiges Thema beleuchtet und das in den Fakten auch gar nicht schlecht macht. Er sagt die ungeschönte Wahrheit über Massentierhaltung, das Leiden von Nutztieren, Umweltschäden, Gesundheitsrisiken insbesondere durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika und den daraus folgenden Resistenzen, die Macht des Geldes und der Lobbyisten und selbst über mutwillige Misshandlungen von Tieren durch Angestellte der Betriebe schweigt er nicht. Interessant wird es auch durch die längeren Passagen, in denen Foer in Briefform Vertreter diverser Standpunkte zu Wort kommen lässt.

Aber auch wenn Vegetarismus für mich selbst erstrebenswert und mir Tierschutz sehr wichtig ist, kann ich mich bei diesem Buch nicht der allgemeinen Euphorie anschließen. Nicht nur eine gute Thematik macht ein gutes (Sach)buch, sondern auch oder sogar vor allem die Umsetzung ist wichtig - die Art, wie die Fakten vermittelt werden - und nicht zu letzt die dahinterstehende Aussage. Und da weist "Tiere essen" einfach mehrere größere Schwächen auf, die mich beim Lesen sehr gestört haben, und es meiner Meinung nach sogar im Bezug auf das Verständnis von Nicht-Vegetarieren für Vegetarier teilweise kontraproduktiv machen.

Die erste und eine entscheidende Schwäche ist der Aufbau. Eine sinnvolle Struktur für eine argumentative, auf Fakten basierende Analyse ist schlicht nicht vorhanden - nicht einmal die Überschiften der Kapitel und Unterkapitel ergeben einen Sinn, höchstens vielleicht bei den beiden Kapiteln "Geschichten erzählen" zu Beginn und am Ende des Buches. Das klingt nämlich nach dem, was der Leser hier auch findet: Märchenstunde. Foers Kindheit, Foers Oma, Foers Sohn und eine "Art" wirsch in die Länge gezogenes Vorwort, das auch noch das nächste Kapitel einschließt, aus dem sich der Leser Foers Intention zum Schreiben dieses Buches irgendwie zusammenbasteln kann. Das Fazit, das seiner Meinung nach dann doch nicht das angestrebte leidenschaftliche Plädoyer für Vegetarismus geworden ist, findet sich dann auch gleich an mindestens drei Stellen - nur eben nicht wirklich am Ende (wo es hingehört hätte), sondern einmal in der Mitte unter der nichtssagenden Überschrift "weitere Einflüsse" (S. 167), unter der Überschrift "Tiere essen" (S. 223) und in wiederholter Form nocheinmal unter "Meine Wahl" (S. 277).

Überhaupt führt die Strukturlosigkeit zu unzähligen Wiederholungen. Manchmal werden nicht nur einzelne Fakten, sondern sogar ganze Abschnitte sinngemäß mehrmals wiedergegeben. Vielleicht hatte der Autor auch das Gefühl drei Jahre währende Recherchen müsste man auf mehr als 100-150 Seiten unterbringen, auch wenn die gesammelten Fakten ohne Wiederholungen eigentlich nicht mehr hergäben.

Auch das Quellenverzeichnis ist für ein Sachbuch, das angeblich auf Recherchen beruht und "so objektiv [ist], wie ein journalistisches Werk nur sein kann", ein wahres Armutszeugnis. Keine Fuß- oder Endnoten als Literaturverweise, stattdessen ein unübersichtliches Verzeichnis der "Anmerkungen" am Ende des Buches, durch das man sich mit Seitenzahlen und mit fettgedruckten Textfragmenten durchwühlen muss, nur um dann eventuell festzustellen, dass es zu einer betreffenden Stelle gar keine Quellenangabe gibt. Als noch unsinniger entpuppt sich diese Sammlung von Anmerkungen dann bei der "Sachlage in Deutschland", die vom Vegetarierbund Deutschland zusammengestellt wurde und für die Einordnung der genannten amerikanischen Daten in den deutsch-europäischen Markt auch von großer Wichtigkeit ist. Leider ist es durch den gewählten Stil eine Zumutung zum Lesen, eine wirre Mischung aus Text und Literaturverweisen, die ich zudem noch als recht unumfassend empfunden habe.

Jetzt zu dem Punkt, weswegen ich das Buch für das Verständnis von Vegetariern und Nicht-Vegetariern sogar eher misslungen finde. Ein großes Problem sehe ich dabei in den "Zeigefinger"-Vegetarieren, in den Moralpredigern und den "Ihhhhh"-Schreiern, die, wenn ihnen die Fakten ausgehen, mit Überdramatisierung, Schwarz-Weiß-Denken und emotionaler Erpressung anfangen und dadurch Abwehr anstatt Verständnis bewirken. Leider kann Foer auch noch so oft seine Objektivität und Rechercheleistung betonen: Er hält sich nicht immer dran, sondern neigt ebenfalls zu Unsachlichkeiten.
Besonders beim seinem Besuch bei einer Schlachterei, deren Schweine "meist von den wenigen übrig gebliebenen Schweinefarmen im Land [kommen], die noch keine Massentierhaltung betreiben." (S. 190) und die nach - objektiv - akzeptablen Standards schlachtet, bleibt Foer nichts mehr anderes übrig, als die Schiene der emotionalen Erpressung einzuschlagen - und das tut er auch ausgiebig.
Den ruhig stehenden Tieren wird ein "Wissen" um den nahenden Tod angedichtet, hier ist es schlimm, dass nicht jeder bei der eigentlichen Tötung zuschauen kann, während er sonst immer die Belastung der Angestellten gleich mitbemängelte und das Highlight bildet dann der arme Veterinär: "Doc müsste sich kaum verändern, um in einem Horrorfilm mitzuspielen - und zwar nicht als Opfer." (S.181). Der arme Mann ist also der Täter in einem Horrorfilm? Ist das objektiv und sachlich? Wie sieht wohl Foers Tierarzt aus, wenn er mal seinen geliebten Hund George für eine OP aufschneidet? Ich nehme an sein "Kittel ist blutverschmiert" und "sein Blick hinter der Schutzbrille [ebenso] entschieden wahnsinnig", während er als "Innereienbeschauer" den "Glibber" des Hundes durchwühlt.

Die ganze Schlachthofbeschauung endet dann noch in einem zwei Seiten langen Monolog-Geschwafel, die man auch mit "ihhh" hätte abkürzen können. Wenn Foer das Schlachten generell ablehnt, dann soll er das so schreiben (tut er strukturlos wie das Buch ist auch 100 Seiten später). Aber dann direkt im Anschluss den Schweinefarmer Paul über den Klee zu loben, weil seine Tiere so gut aufwachsen und deshalb kein eindeutiges Plädoyer für den Vegetarismus fällen zu wollen - oder eben doch, aber mit ewigem Hin- und Hergedruckse - da fehlten mir einfach manchmal Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Konsequenz. Beim feinen Paul heißt es übrigens auch, dass die männlichen Ferkel "ohne Betäubung kastriert" werden, bei der Massentierhaltung dagegen werden "die Hoden aus dem Leib gerissen".

Formulierungsschwächen will ich zum Schluss auch nicht auslassen: "an Krebs sterben jährlich weitere fast 25 Prozent der US-Bürger" (S. 168). Ich hoffe wirklich, dass die wahre Aussage der verwendeten statistischen Daten anders lautet, denn so formuliert, rottet der Autor die USA ganz schön schnell aus...

Insgesamt habe ich jetzt viel kritisiert (aber lange nicht alles, was ich hätte kritisieren können), aber ich hoffe, dass meine Drei-Sterne-Bewertung dennoch so verstanden wird, dass ich das Buch in weiten Teilen inhaltlich gut finde - es hat nur eben gleichzeitig auch zu viele Schwächen, vor allem keine ordentliche Gleiderung, manchmal mangelnde Sachlichkeit, ein fehlendes deutliches Fazit und ein Witz von einem Quellenverzeichnis, um für mich ein gutes Buch zu diesem Thema abzugeben. Ich hatte mir mehr versprochen.

Kommentare

Zissi kommentierte am 21. Februar 2015 um 16:51

Sehr hilfreiche Rezension. Gut begründet und sachlich vor allem. Ich habe das Buch diese Woche gekauft, aber noch nicht gelesen. Bin mal gespannt. ^^