Rezension

Themen-Clash

Liebesheirat -

Liebesheirat
von Monica Ali

Es gibt Fleißpunkte für's Abhaken aller aktuellen Themen, aber es fehlt der Geschichte an Tiefgang und Herz.

In einer kurzen Buchvorstellung las ich von Monica Ali's Roman 'Liebesheirat', es wäre ein Culture Clash Roman. Obwohl es um eine nach England eingewanderte bengalische Familie islamischen Glaubens geht, deren Mitglieder im Alltag teils rassistische Erfahrungen machen und die kulturelle Unterschiede zu ihren Mitmenschen erleben, würde ich dieser Beschreibung jedoch nicht zustimmen. Die kulturellen Unterschiede, vor allem der 'Clash' - also in meinem Verständnis das problematische Aufeinanderprallen dieser - spielen in dem Roman nur eine sehr untergeordnete Rolle. 

Yasmin Ghorami und Joe Gangster sind verlobt. Sorgenvoll blickt Yasmin dem ersten Aufeinandertreffen ihrer konservativen Eltern mit Joes feministischer und für ihre jugendliche Freizügigkeit berühmten Mutter entgegen. In den Monaten danach, in denen die Hochzeit näher rückt, Joe an seinen persönlichen Problemen arbeitet, schwelende Konflikte in der Familie Ghorami aufbrechen und Yasmin mit ihrer Arbeitsstelle hadert begleiten die Lesenden das Paar. 

Die Autorin selbst hat bengalische Wurzeln und ihr Debütroman, 'Brick Lane', der ebenfalls von bengalischen Einwanderern in London handelt, wurde für den Booker Prize nominiert. Ihr ist es offenbar ein Anliegen, hinter die sichtbaren Differenzen der Kulturen zu blicken und insbesondere die Frauen und ihre leisen Kämpfe zu charakterisieren. So finden sich auch in 'Liebesheirat' vor allem bei den weiblichen Charakteren ungeahnte Kämpfe und Bewährungsproben. Inspirierend ist es, dass die Frauen untereinander Beistand finden und gerne hätte ich mehr von ihnen gelesen. 

Aber Monica Ali hatte offensichtlich mehr vor. Viel mehr. Es geht nicht nur um die Frauen, es geht nicht nur um Rassismus, da wären noch die Suchtproblematik, das (marode) englische Gesundheitssystem, transgenerationale Traumata, sexuelle Befreiung, Treue, arrangierte Hochzeiten, Aufbegehren, Eltern-Kind Konflikte, Gewalt, medizinische Fallstudien, LGBTQ, Arbeitsplatzkonflikte und und und. Ich habe bestimmt noch etwas vergessen. Alles für sich interessante und hochaktuelle Themen, keine Frage. Allerdings macht es die schiere Fülle unmöglich, dass die Themen befriedigend und tiefgehend behandelt werden. So bleibt es oft nur bei einzelnen, oberflächlichen Sätzen, welche die Protagonisten oder auch nur Nebenfiguren zu gewissen Themen äußern dürfen. Ich fühlte mich dabei an HBOs Wiederbelebung von 'Sex and the City' - 'And Just Like That' erinnert, in der die Autoren auch ganz besonders bedacht darauf waren, alle neumodischen Anforderungen an eine inklusive Darstellung zu erfüllen, was mitunter groteske Züge annahm, weil der neue Stil nicht auf die Schablonen der alten und bekannten Charaktere passen wollte. Alis Charaktere sind für die Lesenden zwar nicht alt und etabliert, aber man begleitet sie zu wenig, um ihre Gemütswandlungen wirklich nachvollziehen bzw. verstehen zu können. Am ehesten konnte ich noch Joe als Person verstehen, aber auch nur, weil es für ihn eine medizinische Begleitung (inklusive Erklärungen) gab. 

Letztlich war die Lektüre für mich trotz des verhalten optimistischen Endes eine eher ernüchternde Erfahrung, da es aufgrund der geschachtelten Probleme und Konflikte etwas von einer Matrojschka-Traumata-Puppe hatte. Wer auf realistische Dramen-Serien steht, dürfte an dem lebendigen, teils sogar humorigen Schreibstil von Monica Ali aber durchaus Gefallen finden.