Rezension

Trauma in vierter Generation

Der Himmel über Bay City -

Der Himmel über Bay City
von Catherine Mavrikakis

Bewertet mit 2.5 Sternen

In der Traumaforschung heißt es, dass Traumata bis in die vierte Generation vererbbar seien. Ich habe mir immer vorgestellt, dass sich der erlebte furchtbare Schmerz ins genetische Erbgut einschreibt und dann an die Kinder und Kindeskinder weitergetragen wird. Das ist wissenschaftlich wohl eher nicht korrekt. Vielmehr ist es das Schweigen über das eigene Trauma, welches starke Auswirkungen auf die Familiendynamik hat. So wie die jüdischen Schwestern Denise und Babette schweigen. Sie haben den Holocaust als einzige ihrer Familie überlebt, weil die Eltern sie rechtzeitig bei einem französischen Bauernpaar unterbringen konnten und diese sie wie ihre eigenen Kinder aufgezogen haben. Doch mit dem Wissen Überlebende zu sein, verliert das Leben seine Leichtigkeit. Die Schwestern wandern in die USA aus und das Schweigen zieht mit.

In Bay City bei Michigan lassen sich die Schwestern nieder, die eine mit Mann und Sohn, die andere widerwillig mit Tochter und Sehnsucht nach deren Vater in New York. Amys Leben in der Kleinstadt ist tagsüber trostlos und nachts traumatisch, denn sie wird im Traum von den Bildern der Shoah heimgesucht. Obwohl Mutter und Tante schweigen, erlebt Amy Nacht um Nacht das Grauen nach. In der Nacht nach Amys 18. Geburtstag brennt das Haus nieder. Alle sterben. Amy überlebt.

„Der Himmel über Bay City“ ist eine verstörende Lektüre. Amys Erzählen ist redundant, banal, diffizil, traumbildhaft, unklar, anklagend, schwermütig, selbstmitleidig, vom Trauma der Familie geprägt und mit psychotischen Zügen versetzt. Immer wieder mischt sich der Himmel der 1960er über Bay City mit dem vom Rauch aus den Krematorien verklärten Himmel über Auschwitz. Oder mit dem Himmel über dem Ganges in Indien oder über der Wüste New Mexicos. Orte, die Amy bereist oder in denen sie lebt. Selbst ihre Tochter nennt sie Heaven. Amys Himmels-Obsession hat sicher eine tiefere Bedeutung, die man analysieren könnte, wenn man wollte. Doch ich bin nicht gewappnet für diese Geschichte, die so tief geprägt ist vom Leid. Ich verliere mich in ihr – auf eine äußerst unangenehme Art und Weise. Der Text wird zur Qual. Amys Schmerz zum Vorwurf. Ich fühle mich zurückversetzt in meine Schulzeit, als ich zum ersten Mal vom Holocaust höre und mich in dieses Thema hineinstürze, voller Unglauben, dass dieses Grauen passiert sein soll. Voller Schuldgefühle, weil meine Vorfahren die Welt in den Krieg und Millionen von Menschen ins Gas gestürzt haben.

Ein abschließendes Fazit zu Catherine Mavrikakis Roman zu ziehen, fällt mir äußerst schwer. Amys Schmerz zieht sich durch den gesamten Text, doch bevor er mich erreicht, blocke ich ab und verschließe mich. Ich will mich dem nicht stellen. Ich will mich nicht in Beziehung setzen. Ich will am liebsten nicht weiterlesen. Will  Mavrikakis ihre Leser mit dem Text überhaupt erreichen oder will sie sich vor allem den eigenen Schmerz von der Seele schreiben? So bleibe ich verstockt und verstört zurück und versuche den aschegrauen Himmel über Auschwitz aus meinem Kopf zu vertreiben.