Rezension

Unter Glas

Die Terranauten
von Tom Coraghessan Boyle

Wer erinnert sich noch an „Biosphäre 2“, das faszinierende Experiment aus den neunziger Jahren in der Wüste Arizonas? Dort wollten Wissenschaftler in einem geschlossenen ökologischen System spezielle Umweltbedingungen abbilden und untersuchen, inwieweit dort menschliches Leben langfristig möglich ist. Aus verschiedenen Gründen ist dieses Experiment allerdings gescheitert, wobei die Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehungen einer der Faktoren war.

Aus „Biosphäre 2“ wird bei T. C. Boyle „Ecosphere 2“, und diese Utopie bildet den Hintergrund für den neuesten Roman „Die Terranauten“, wobei sich der Autor in seinen verschiedenen Romanen bereits mehrmals mit ökologisch/utopischen Visionen und deren gesellschaftspolitischen und/oder individuellen Auswirkungen beschäftigt hat (siehe z.B. „Ein Freund der Erde“ oder „Wenn das Schlachten vorbei ist“ oder „Drop City“).
Vier Frauen und vier Männer sind die Probanden, die sich der Herausforderung stellen. Von der Außenwelt abgeschnitten, werden sie in einer versiegelten Biosphäre leben, die einem riesigen Terrarium ähnelt. Die Anforderungen an die Teilnehmer sind hoch, denn es gilt nicht nur, die Herausforderungen des täglichen Lebens zu meistern, sondern auch die Probleme der zwischenmenschlichen Beziehungen. Zusätzlich sitzen ihnen natürlich auch Tagestouristen und die Medien im Genick, die jeden ihrer Schritte durch die gläserne Abdeckung beobachten.

Der Roman ist in vier Blöcke aufgeteilt: Vor dem Einschluss, Einschluss. Jahr eins, Einschluss. Jahr zwei und Wiedereintritt. Die jeweiligen Phasen werden aus drei verschiedenen Perspektiven geschildert und kommentiert, zum einen sind das die beiden Teilnehmer Dawn Chapman, die sich um die Nutztiere kümmert, zum anderen Ramsay Roothoorp, Kommunikationsoffizier und Leiter des Bereichs Wassermanagement und ein Sexmaniac. Dritte im Bunde ist Linda Ryu, Dawns Freundin, die es zu ihrem eigenen Bedauern leider nicht geschafft hat, in das Team aufgenommen zu werden. Und so sitzt sie verbittert draußen, beobachtet die Terranauten und sammelt Daten für die Initiatoren des Experiments.

Das dysfunktionale Beziehungsgeflecht steht im Vordergrund und lässt uns die Menschen hinter Glas beobachten, die Interaktionen innerhalb der Gruppe. Die Charaktere sind und bleiben oberflächliche Zeitgenossen, oft kindisch in ihrem Verhalten, ohne persönliche Weiterentwicklung während ihres Aufenthaltes unter Glas. Sie arbeiten, sie streiten, sie hassen und sie lieben. Und sie haben Sex, ein großes Thema dieses Romans, hinter dem die zivilisationskritischen Aspekte fast vollständig verschwinden. Banalitäten bestimmen den Alltag, manchmal komisch, manchmal tragisch. Immer nahe an dem realen Vorbild, denn auch das Scheitern des Biosphäre 2-Experiments ist schlussendlich nicht dem Mangel an Ressourcen, sondern den zerstörerischen gruppendynamischen Prozessen geschuldet.

Doku-Soap und Satire, gepaart mit jeder Menge alttestamentarischer Symbolik. Der Schöpfer, das Paradies, die Schlange der Verräter. Boyle hat einen Mikrokosmos erschaffen, innerhalb dessen er dem Leser wie mit einem Vergrößerungsglas die Handlungen und Befindlichkeiten seiner Protagonisten präsentiert. Er wertet nicht und bezieht auch nicht Stellung, er zeigt auf und überlässt es uns, daraus Schlüsse zu ziehen und diese in größere Zusammenhänge einzuordnen. Wieder einmal ein entlarvender, ein großartiger Roman über die menschliche Natur aus der Feder des amerikanischen Autors.