Rezension

unterhaltsam

Herr Winter taut auf -

Herr Winter taut auf
von Stefan Kuhlmann

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Buch, das Spaß macht!

Ich bin durch eine Rezension über Herrn Winter gestolpert. Die Beschreibung auf dem Einband klang lustig und Humor gehört zu meinen Leidenschaften.

Das Cover ist gut gelungen.

Robert Winter, Neo-Rentner, Finanzbeamter a.D., Gattung menschenscheu hegt ein generelles Misstrauen gegenüber seinen Mitmenschen. Überhaupt wäre er lieber Tischler geworden. Als er seine geliebte Sophia (Avon-Beraterin) durch einen Unfall verliert, stürzt er in ein schwarzes Loch, versinkt in Selbstmitleid, vegetiert ungepflegt und unrasiert in seinem Haus dahin. Mit seiner alleinerziehenden Tochter Miriam, Galeristin, gestaltet sich das Verhältnis als schwierig, seinen Enkel Jonas vergöttert er.

Da taucht Lilli Fischer auf, Richterin, ein bezauberndes Wesen, das Robert gehörig in den Allerwertesten tritt und als seine Mentorin nicht locker lässt. Gemeinsam besuchen sie Sophia auf dem Friedhof. Lilli ist die Wegbereiterin zur rechten Zeit, die das Eis zum Tauen und Mr. Winter zum (Dahin-)Schmelzen bringt. Es ist Lilli, die Robert den Floh ins Ohr setzt, anstelle Sophia mit der Avon-Beratung fortzufahren, bis es schließlich auch sein eigenes Ziel wird. Auch Roberts neue Nachbarn Basti und Dennis sind an der wundersamen Verwandlung des misanthropischen Protagonisten beteiligt. Wir alle brauchen Menschen, die an uns glauben. Wir alle brauchen einen Sinn, um weiterzumachen. Im Leben. Auch dann, wenn uns geliebte Menschen zwischendurch auf der Wegstrecke allein lassen.

Es ist Kuhlmanns Roman-Debut. An dem zweiten Opus wird bereits gewerkelt. In Sachen Humor wurden meine Erwartungen erfüllt. Der Roman ist locker flockig geschrieben und prall gespickt mit Passagen, die zum Schmunzeln einladen ('barfuß bis zum Hals', 88). So empfiehlt der rührige Avon-Berater seinen Kunden Chlor-Reiniger, um Schminke aus dem Gesicht zu entfernen. Der phantasievolle Leser stellt sich die ganze Misere unmittelbar bildlich vor. Bei der Begegnung mit einer Travestie-Kundin (genial beschrieben), muss ich sofort an Olivia Jones denken, sehe sie quasi schillernd vor meinem inneren Auge. Tiefgang wird dann erreicht, wenn man zwischen den Zeilen liest oder einfach über Geschriebenes auch noch nach der Lektüre weiter nachdenkt.

Meine Sterne gibt es vor allem für die Sprache. Ich bin eine ausgemachte Freundin des geschriebenen Wortes und hier vor allem von treffenden Vergleichen und Metaphern. Solche finden sich bei 'Herr Winter taut auf',angefangen beim Titel über 'Robert war längst klar, dass sich in diesem Moment der Vorhang zum nächsten Akt hob' (56) oder 'Er kam sich vor wie in einem Duell in einem Spaghetti-Western. Und schließlich ließ Wilma die Waffe sinken'(228). Die Danksagung las ich als Erstes. Kuhlmann hat sich tatsächlich von Avon beraten lassen, überhaupt nett, dass sich ein männlicher Autor mit derart weiblichen Themen wie Schminken und Kosmetik beschäftigt.

Aufgrund des Platzes, den Winter schließlich in der Avon-Hierarchie einnimmt, wird verhindert, dass der Roman zu einem Märchen oder einer Soap-Opera mutiert.

Thematisch geht es um Liebe und Verlust, problematische Eltern-Kind-Beziehungen, Verletzungen, Trauer, Neuanfang, Freund- und Feindschaften, Sinn u.a.

Ein Buch, das Spaß macht und gut tut in krisengeschüttelten Zeiten, von einem nahbaren Autor, der trotz seiner Erfolge als Drehbuchautor ein Mensch wie Du und Ich geblieben ist, jederzeit ansprechbar. Der Mensch ist ein soziales Wesen und als solches braucht er seinesgleichen. Das gilt auch für Autoren und Leser. Man befruchtet sich gegenseitig. Bringt sich zum Lachen und verleiht einander Sinn.