Rezension

Unterhaltsamer Rückblick auf die Geburtsstunde deutscher Demokratie

Die Frauen vom Reichstag: Stimmen der Freiheit -

Die Frauen vom Reichstag: Stimmen der Freiheit
von Micaela A. Gabriel

Bewertet mit 4 Sternen

Zugegeben, ich habe ein wenig gezögert, bevor ich mich bewusst für die Lektüre des Romans „Die Frauen vom Reichstag – Stimmen der Freiheit“ entschieden habe. Frauenwahlrecht, Weimarer Republik, Entente: Ich fürchtete, dieser Exkurs in die deutsche Geschichte könnte womöglich ein bisschen langatmig sein. Aber da hatte ich die Rechnung ohne Autorin Micaela A. Gabriel gemacht. Die gebürtige Hanseatin hat sowohl unter ihrem Mädchennamen Micaela Jary als auch dem Pseudonym Michelle Marly große literarische Erfolge vorzuweisen.

In ihrem aktuellen Roman „Die Frauen vom Reichstag – Stimmen der Freiheit“, erschienen am 22.03.2022 bei Rowohlt Polaris, nimmt sie die Leser mit in die ausgehende Kaiserzeit und den Aufbruch in die Demokratie. Im Zentrum steht dabei die fiktive Figur Marlene von Runstedt, die als eine der ersten 37 Parlamentarierinnen Deutschlands in den Reichstag einzieht. Die Juristin ist fest entschlossen, sich als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) für die Rechte der Frauen einzusetzen. Ihre einstige Freundin Sonja Grawitz, inzwischen ein gefeierter Theaterstar, tritt für die kaisertreue Deutschnationale Volkspartei (DNVP) an. Doch es sind nicht nur die unterschiedlichen politischen Ansichten der beiden Frauen, die die einstigen Freundinnen entzweien – sie konkurrieren vor allem um einen Mann. Der Offizier Justus von Ostwald ist kein Kostverächter und fühlt sich zu beiden Frauen hingezogen. Mit Sonja unterhält er eine über Jahre andauernde Affäre, aber die strebsame Marlene ist es, an die er sein Herz verloren hat. All dies spielt sich vor der Kulisse eines von Aufständischen umkämpften und unruhigen Berlin ab; zwischen Kriegsmüdigkeit und Neubeginn.

Mit anspruchsvollem Duktus, dabei dennoch unterhaltsam führt Micaela A. Gabriel ihre Leserschaft durch die Geschichte und zeichnet anhand von zahlreichen Rückblicken insbesondere den beruflichen, aber auch den privaten Werdegang Marlenes und Sonjas nach. Mit ihrem anschaulichen Schreibstil gelingt es ihr eindrucksvoll, bewegte Bilder vor das geistige Auge des Lesers zu projizieren und ihn mitzunehmen in eine Zeit, in der Pferdehufe über das Kopfsteinpflaster donnerten und Automobile noch eine Rarität waren.

Mein Respekt gilt vor allem der aufwendigen Recherche, die Micaela A. Gabriel für ihr Buch betrieben hat. Die Autorin sagte in einem Online-Hintergrundgespräch mit einigen Bloggern, zu denen auch ich gehören durfte, sie sei eine gute Kundin des Online-Antiquariats ZVAB (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher).

Und die Recherchearbeit dürfte auch aktuell noch einen Gutteil der Zeit der Autorin beanspruchen, denn „Die Frauen vom Reichstag“ ist als Trilogie angelegt. Teil 2 mit dem Titel „Die Frauen vom Reichstag – Ruf nach Veränderung“ erscheint am 16.08.2022 und führt die Leser mit der Protagonistin Sophie Maytrott von der Zentrumspartei zurück in das Jahr 1927. Im Fokus des dritten Teils der Parlamentarierinnen-Reihe „Die Frauen vom Reichstag – Schritte in eine neue Welt“ steht die SPD-Abgeordnete Paula Hagedorn im Jahre 1941. Dieser dritte und letzte Band erscheint am 15.11.2022. Eine echte Saga also über einflussreiche Frauen, die für ihre Sache einstehen.  

Für mich steht fest, dass ich auch die kommenden beide Teile lesen werde. Die Figuren, die Micaela A. Gabriel entworfen hat, sind äußerst interessant und lebendig und ich bin schon sehr gespannt auf die kommenden Protagonistinnen. Nur an einigen wenigen Stellen erinnert der Roman an ein Sachbuch, nämlich dann, wenn politische Zusammenhänge einen Tick zu gewissenhaft geschildert werden.

Insgesamt ist „Die Frauen vom Reichstag – Stimmen der Freiheit“ eine Lektüre, die einen packt, lehrt, fabelhaft unterhält und nicht zuletzt daran erinnert, dass vieles, das wir heute als normal empfinden, noch vor gut einhundert Jahren alles andere als gang und gäbe war.