Rezension

Vom Nachfolge-Krieg um ein Drogen-Imperium

River of Violence
von Tess Sharpe

Bewertet mit 3.5 Sternen

Als Harley McKennas Vater schwer erkrankt, ist sie gerade erst Anfang zwanzig und zur Erbin seines Drogen- und Schutzgeld-Imperiums bestimmt. Während sich in der Gegenwart ein gnadenloser Kampf um Duke McKennas Erbe abzeichnet, bewegt sich Harley in Rückblenden wie ein Hase auf dem Feld durch Erinnerungen an ihre Kindheit in einem abgelegenen Waldgebiet Kaliforniens. Auch wenn der Name des McKenna-Clans wie ein Schutz-Status wirken sollte, wird dem Mädchen eingebläut, dass außerhalb des mit der Waffe verteidigten McKenna-Landes auf sie nur Gefahren lauern. Der Zaun, die völlige Isolierung, ihr persönlicher scharf abgerichteter Hund, ihr Schießtraining und ihr absoluter Gehorsam dem Vater gegenüber sollen Harley vor der Welt draußen und vor dem Springfield-Clan schützen, dem Konkurrenten des Vaters auf dem Markt Synthetischer Drogen.

Mit dem rhytmisch wiederkehrenden Satzanfang „Ich bin acht, als, …“ „Ich bin elf, als …“ treibt Sharpe ihre Leser durch das Leben eines Kindes in Gefangenschaft, das systematisch an Waffen ausgebildet und für jeden denkbaren Angriff trainiert wird. Vom Beobachten eines Mordes in früher Kindheit, über das gemeinsame Beseitigen eines Toten bis zum Töten auf Befehl des Vaters wird Harley von klein auf gedrillt. In Harleys Welt sind Männer gewalttätig, Frauen haben deshalb Schuldgefühle zu haben und wischen das Blut auf. Ein deutlich rassistisches Wertesystem in diesem County nimmt nur Gewalttaten gegen weiße Opfer wahr, alles andere wird unter den Teppich gekehrt. So spielt Harleys Mutter mit dem Feuer, als sie gemeinsam mit Mo, die indianischer Abstammung ist, in einem ehemaligen Motel eine Zufluchtsstätte für Frauen betreibt, die vor der Gewalt ihrer Väter und Männer geflüchtet sind. Harleys Mutter kostet ihr soziales Engagement das Leben. Sie stirbt zusammen mit Wills Mutter, der danach großzügigerweise mit seiner Großmutter auf dem McKenna-Gelände wohnen darf und wie ein Bruder für Harley wird.

Mit 16 erklärt Jake seine Tochter für erwachsen. Sie bekommt einen eigenen Pick-Up, bewaffnet ist sie sowieso. Jake tritt ihr jedoch den Teil seines Schutzgeld-Imperiums ab, der Besitzerinnen kleiner Geschäfte und Cafés abzockt. Eine Frau, die Frauen Schutzgeld abpresst, die sich und ihre Kinder gerade so durchbringen – wann Harley dabei wohl etwas auffallen wird?

Die Handlung findet zum größten Teil an drei Tagen im Juni statt, unterbrochen von Harleys Erinnerungen, und wird durch ein Kapitel abgeschlossen, das gut 4 Wochen später spielt. Die Ichform und das gewählte Präsens verstärken die subjektive Sicht der Erzählerin, die bisher kaum andere Lebensform als die ihres Vaters kennenlernen konnte. Die willkürlich aneinandergereihten Erinnerungssplitter geben erst allmählich das Gesamtbild zu erkennen, so dass Zweifel bei Harley am Geschäftsmodell der McKennas auch erst spät wahrzunehmen sind. Dass ein männlicher Clan-Chef nur durch eine Chefin abgelöst wird, wäre für einen 500-Seiten-Thriller zu einfach.

Im Nachwort stellt Tess Sharpe einen Bezug her zwischen ihrem Roman und einer Hasskultur, die sich in den UA nicht allein auf die Südstaaten beschränke, sondern in nicht wenigen Gruppen von Anhängern extremistischer Weltanschauungen zu finden sei.

„River of Violence“ wirkt auf mich sonderbar als deutscher Titels für „Barbed Wire Heart“. Bold ist ein Imprint des dtv-Verlags, das sich an in den sozialen Medien aktive Young-Adult-Leser richtet. Für Leser aller Altersgruppen finde ich einen Handlungsverlauf mühselig, in dem sich ein möglicher Umschwung in den Werten der Hauptfigur erst spät ankündigt. Das Motiv des Vaters, der seine Tochter der Welt draußen gegenüber gefangen hält, ist im Roman nicht neu. Die Aneinanderreihung von Gewaltszenen ist hier jedoch extrem, alles andere als spannend. Anfangs fragte ich mich, ob ich davon noch einige hundert Seiten lesen möchte, ohne dass eine Veränderung zu erhoffen war. Psychologisch fand ich das Leseerlebnis höchst interessant, da es eine Vorstellung vermitteln kann, wie sich generell kriminelle Clans an der Macht halten können.