Rezension

Was für ein merkwürdiges Buch...im Sinne des Wortes „merk-würdig“!

Was geschieht in der Nacht -

Was geschieht in der Nacht
von Peter Cameron

Bewertet mit 5 Sternen

Skurril - Surreal - Unbeschreiblich. Düsterer Roman der ganz eigenen Art. Fesselnd und anstrengend zugleich.

Dieses Buch hat mich von Anfang an gepackt, obwohl – nein weil! - es keinem Buch gleicht, was ich je gelesen habe. Der Inhalt, der Schreibstil, der Nachhall, den es hinterlässt...bzw. bei mir hinterlassen hat - alles ist außergewöhnlich, oder alles außer-gewöhnlich!

Worum geht es?
Ein Ehepaar, im gesamten Roman nur als „der Mann“ und „die Frau“ bezeichnet, fahren mit dem Zug in ein namenloses, nicht real existierendes Land, was irgendwo im Norden Europas verortet wird. Den Namen und Gegebenheiten nach würde ich es als eine Mischung aus Finnland und Russland bezeichnen. Die Stadt, in der sie schließlich nach unendlich langer Zugfahrt ankommen, hat zwei Orte, für die sie bekannt ist: ein Kinderheim und einen Wunderheiler.
Es ist Winter und sehr kalt, die Frau hat Krebs im Endstadium, beide sind dorthin gefahren, um ein Kind zu adoptieren, nachdem sie selbst vergeblich versucht hatten, eines zu bekommen. Das Kind soll dem Mann eine Aufgabe geben, wenn sie nicht mehr da ist.
Sie übernachten in einem seltsamen Hotel mit noch seltsameren Gästen...und schon bald gerät der Grund, warum sie die Reise eigentlich unternommen haben, fast vollends in den Hintergrund.

Das ist eigentlich alles.

Der Schreibstil ist ungewöhnlich. Obwohl das Buch im Grunde überwiegend aus Dialogen besteht sind diese ausnahmslos in indirekter Rede verfasst. Man sieht dem Geschehen zu, wie einem Kammerspiel. Dazu hat der Autor die Gabe, alle Schauplätze sehr anschaulich zu beschreiben. Man greift automatisch zur Strickjacke, wenn er die Kälte beschreibt, weil man zu frösteln beginnt. Es wird einem übel, wenn dem Protagonisten übel wird. Und man hat zutiefst Mitleid, eigentlich mit allen Protagonisten, denn hier hat jeder der drei Hauptpersonen eine Geschichte, die er/sie mit sich selbst ausmacht.

Die Ehe der beiden ist am Ende, auch ohne die Krankheit der Frau.
Eine alte Sängerin namens Livia Pinheiro-Rima – großartig und meine Lieblingsprotagonistin, allein der Name unterstreicht ihre Exotik – sowie ein (bisexueller?) Geschäftsmann, die ebenfalls sich in dem Hotel aufhalten, bringen sowohl Mann als auch Frau zum Nachdenken und unerwartete Gefühle und Gedanken kommen zum Vorschein. Auch die versehentliche Begegnung mit Bruder Emanuel, dem Wunderheiler, soll noch eine größere Rolle spielen.

Es geht um Liebe, um Verzicht, um Tod...und doch ist oft ein Funke Humor zu spüren, obwohl das gesamte Buch düster und melancholisch daherkommt.

Den Protagonisten, besonders dem Mann, passieren die skurrilsten Dinge, das ist einer der Gründe, warum man das Buch kaum aus der Hand legen mag. Man denkt dauernd, oh nein, was denn jetzt schon wieder? Warum tut er das? Oder: Warum macht er das jetzt nicht?

Schließlich gibt es ein halb trauriges-halb hoffnungsvolles Ende.

Ein surrealer, etwas unheimlicher und kühler Roman, auf den man sich einlassen muss. Mich hat er begeistert und bekommt fünf Sterne und ein „herausragend“!