Rezension

Wenn Wes Anderson ein Buch schreiben würde

Was geschieht in der Nacht -

Was geschieht in der Nacht
von Peter Cameron

Während und nach der Lektüre von „Was geschieht in der Nacht“ ist es wenig überraschend, dass man ständig an verschiedenste Regisseure denken muss. Erinnert der Name des Autors „Peter Cameron“ sowohl an Peter Jackson als auch James Cameron, so ist es der Stil und Inhalt des Buches, die eher an David Lynch und Wes Anderson erinnern lassen. Warum ist das so?

Man kann sich den skurrilen Plot sowie dessen Figuren einfach am besten verfilmt vorstellen. Da kommt ein amerikanisches Ehepaar per Zug in der Nacht in einer nicht näher bezeichneten nordeuropäischen Stadt an, um ein Baby aus dem Waisenhaus zu adoptieren. Aber schon die Ankunft verläuft verquer und erst recht der gesamte Aufenthalt. Da gibt es einen Geschäftsmann, der dem Ehemann des Paares einreden will, man hätte bereits eine homoerotische Nacht miteinander verbracht und kenne sich aus New York; eine ältere, schillernde Sängerin/Schauspielerin/Schaustellerin mischt sich in die Befindlichkeiten der Eheleute ein; der ortsansässige Heiler scheint die Rettung für die krebskranke Ehefrau; der Leiter des Waisenhauses scheint hingegen unerreichbar; und der stille Barmann wird dann doch noch ganz gesprächig. Alles läuft darauf hinaus, dass dieses Ehepaar den Ort so schnell nicht verlassen wird, ob mit oder ohne Kind ist sowieso fraglich.

Peter Cameron legt seine abgedrehte Story in einem sehr interessanten Setting an. Er erfindet einen Ort, der scheinbar prototypisch als Konglomerat aus verschiedenen nordischen Begrifflichkeiten, Namen, Sprachen und Gebräuchen zusammengesetzt ist. Schon die Ankunft ist düster inszeniert und lässt vermuten, dass wir uns in einer merkwürdigen Zwischenwelt befinden. Nie weiß man beim Lesen so genau, was hier real und was surreal ist. Denn das ist der Grundton des gesamten Romans: Surrealismus mit viel Skurrilität und Absurdität.

Während die Hauptfiguren (das Ehepaar) namenlos und auch meines Erachtens konturlos bleibt, wartet Cameron mit allen möglichen Absurditäten bezüglich der Nebenfiguren auf. Das liest sich über die erste Hälfte des Romans recht spritzig und „anders“, wird jedoch im weiteren Verlauf zu einer ständigen Wiederholung und verblasst somit immer mehr. Leider konnte ich den Entscheidungen und Motivationen der Ehepartner kaum mehr folgen. Sie wirkten nicht mehr nachvollziehbar und ebenso wenig realistisch wie das gesamte Setting. Nun könnte man sich damit abfinden und sagen, gut, dann ist eben der gesamte Roman unrealistisch konstruiert. Aber an dieser Stelle verliert mich der Autor. Bei Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“, ein Film, an welchen ich ständig bei der Lektüre denken musste, machen die Protagonisten auch die verrücktesten Sachen, keine Frage. Aber dort konnte ich trotzdem nachvollziehen, was sie zu ihren Handlungen bewogen hat. Das fehlt mir hier komplett. Die Beziehungsentwicklung zwischen den Ehepartnern nimmt innerhalb von wenigen Tagen bzw. Nächten einen Verlauf, der viel zu schnell und in Richtungen geht, die einfach unglaubwürdig und zweifelhaft sind.

Somit stellt das Buch durchaus für mich eine solide Leseerfahrung dar. Aber ich finde, ein unrealistisches, surreales Setting mit skurrilen Figuren sollte immer noch einigermaßen nachvollziehbare menschliche Reaktionen beinhalten, um als Leserin weiterhin mit Interesse dabeizubleiben. Die Geschichte verläuft sich zum Ende hin. Ja, man könnte sogar sagen sie „plätschert“ so dahin, natürlich soweit man die Koordinaten für dieses Wort in den Bezugsrahmen einer abgedrehten Story setzt.

Nach anfänglicher Freude über dieses unkonventionelle Setting - für ein Buch, denn im Film gab es dies durchaus schon häufiger -, verlor ich zunehmend die Geduld mit dem Roman und er konnte meines Erachtens nicht auf voller Länge mit seiner tollen Grundidee mithalten. Als kurioser Arthouse-Film könnte diese Geschichte sicherlich über eine Filmlänge hinweg funktionieren, in Buchform konnte sie mich nicht vollends überzeugen.