Rezension

Surreal, skurril, grotesk - und doch mit eigentümlichem Sog...

Was geschieht in der Nacht -

Was geschieht in der Nacht
von Peter Cameron

Bewertet mit 4 Sternen

Eine seltsam surreal-skurrile Erzählung voller Symbolik und groteskem Humor - und doch entwickelt sie einen ganz eigentümlichen Sog...

Ein New Yorker Ehepaar reist mit dem Zug in eine abgeschiedene, schneeverwehte Kleinstadt im Norden Europas, um im örtlichen Waisenhaus ein Kind abzuholen, das sie adoptieren wollen. Er hofft, durch das Kind seiner Frau wieder näherzukommen. Sie, gezeichnet vom Kampf gegen eine tödliche Krankheit, will ihn nach ihrem Tode nicht allein zurücklassen. Am Ziel ihrer Reise angelangt, quartieren sich die beiden im Grand Imperial Hotel ein, das von der Pracht längst vergangener Tage zeugt und in dem eine Handvoll skurriler Gäste logiert. Am nächsten Morgen setzt das Taxi sie fälschlicherweise nicht beim Waisenhaus ab, sondern vor dem Haus von Bruder Emmanuel, einem mysteriösen Heiler. Dies löst eine Reihe von Verwicklungen aus, die den Plan, das Kind abzuholen, nach und nach in den Hintergrund treten lassen. (Klappentext)

Wie soll man über etwas eine Rezension verfassen, das man nicht wirklich erfassen konnte? Denn in diesem Buch darf nichts für bare Münze genommen werden, nichts ist gewiss und von Bestand, und man meint, in einem Traum gefangen zu sein. Was pasend zu dem Romantitel wäre: Was geschieht in der Nacht...

Im Grunde spielt die Handlung die ganze Zeit über in der Nacht - jedenfalls wird es im Winter hoch im Norden Europas niemals richtig hell. Es ist bitterkalt, es ist düster und unwirtlich. Schon die ersten Szenen versetzen den/die Leser:in in eine Atmosphäre, die die Frage aufwirft: wo bin ich hier? 

 

"...denn ihr Ziel war ein Ort am Rand der Welt, im hohen Norden eines nördlichen Landes, nicht leicht zu erreichen. Ihre Reise glich einer Reise in eine früheres Jahrhundert, dauerte Tage, nicht Stunden, und die Erde unter ihnen war ernst und sehr real und bestand nachdrücklich auf ihrer unermesslichen Weite." (S. 11)

 

Ein Mann und eine Frau unternehmen diese Reise, ein Ehepaar, das auf dem Weg ist, ein Kind aus einem Waisenhaus zu adoptieren, fern der Heimat in New York, in einem Land, in dem die Umstände der Adoption weniger wichtig zu sein scheinen als andernorts. Denn das Ehepaar ist eigentlich zu alt, um ein Kind zu adoptieren - und die Frau ist schwer erkrankt, sie will nur den Mann nach ihrem Tod nicht allein zurücklassen. Klingt skurril? Ist es auch - und doch ist es nur der Beginn einer Reise in eine absurde, surreale und groteske Welt, in die Peter Cameron hier entführt.

Als der Zug schließlich an einer verlassenen, menschenleeren Bahnstation hält und die beiden aussteigen, finden sie zuletzt doch ein Taxi, das sie zu einem Hotel bringt. Ein Hotel, das seine besten Zeiten bereits hinter sich hat, das Grand Imperial Hotel, dessen schäbiger Charme das etwas heruntergekommene Ambiente nicht verbergen kann. Der Mann und die Frau checken ein - und fortan wirkt es, als seien sie in einer unheimlichen Parallelwelt gefangen, mein spontaner Eindruck war eine Mischung aus Transsilvanien und Twin Peaks.

Einzelne Szenen reihen sich hier aneinander, es treten skurrile Personen auf und wieder ab, deren Rolle sich erst allmählich entpuppt - wenn überhaupt. Seltsam emotionslos wird hier agiert, und doch wird nach und nach alles in Frage gestellt. Letztlich ist nichts mehr so, wie das Ehepaar es vor der Anreise sicher geglaubt zu haben scheint. Weder der Wunsch nach einem Kind noch die Beziehung der Ehepartner zueinander oder auch nur die sexuelle Präferenz. Was im einen Moment behauptet wird, hat im nächsten schon keinen Bestand mehr.

Cameron zeichnet eine Welt mit unscharfen Rändern. Es ist nicht deutlich, ob sich der Mann und die Frau, die bis zum Ende namenlos bleiben, an einem realen Ort befinden oder womöglich in einer Art Zwischenwelt oder in einem Traum. Auch die Geschehnisse wirken zum einen sehr real, zum anderen unwirklich, surreal und verwirrend. Düster ist die Atmosphäre, durchzogen allerdings immer wieder von grotesk-humorigen Szenen. Die Bedeutung vieler kleiner Details erschlossen sich mir teilweise nicht - der Eindruck einer sehr symbolbefrachteten Erzählung drängte sich mir auf, ohne dass ich diese oftmals kryptische Symbolik immer verstand oder auch nur erkannte.

Was sich jetzt vermutlich anstrengend anhört, war doch eine Erzählung, die auf mich einen eigentümlichen Sog ausübte. Ich wollte unbedingt wissen, worauf der Autor hinauswollte und was für ein Ende es für das Ehepaar geben würde. Und obschon alle und alles sehr auf Distanz blieben, konnte mich die Geschichte gegen Ende doch berühren. Letztendlich also ein elegant komponierter, überaus atmosphärischer Roman, der mich einerseits verwirrt zurücklässt, andererseits aber auch absolut in sein surreales Geschehen gezogen hat.

Literarisch anspruchsvoll entführt der Roman in seine ganz eigene, traumartige Welt. Ich kann nur dazu ermutigen mitzuträumen!

 

© Parden  

Kommentare

Gabriele kommentierte am 17. Februar 2024 um 13:35

Wunderbar beschrieben! Ich empfand sehr ähnlich!