Rezension

Wenn Ranken die Herrschaft übernehmen - und die Schweigermutter regiert

Der Riss - Pyun Hye-Young

Der Riss
von Pyun Hye-Young

Bewertet mit 4 Sternen

Ogi ist gemeinsam mit seiner Frau mit dem Auto verunglückt. Seine Frau, die namenlos bleibt, überlebt den Unfall nicht. Der ehemalige Geografie-Professor liegt bewegungsunfähig im Bett und kann sich nur durch Blinzeln verständigen. Seine Schweigermutter hat die Regie übernommen und eine Pflegerin eingestellt. Offenbar verwaltet sie auch Ogis Vermögen. Er kann sich jedenfalls nicht mit ihr über seine Wünsche verständigen. Sein Leben zieht an Ogi vorbei, in dem seine Schwiegereltern namenlos bleiben und seine ehemaligen Kollegen nur mit einem Anfangsbuchstaben unterschieden werden. Offenbar sind zwischen ihm und seiner Frau viele Dinge ungesagt geblieben und er zeichnete sich nicht gerade durch Empathie aus. Im Garten, den seine Frau anlegen wollte, und in der Vorgeschichte der japanischen Schwiegermutter verbirgt sich gewaltige Symbolik, ähnlich den unsichtbaren 7/8 eines Eisbergs. Von koreanischen Lesern wird vermutlich erwartet, dass sie den verdrängten japanisch/koreanischen Konflikt erkennen können. Ich fand für asiatische Werte ausgesprochen treffend, wie im Garten der Ehefrau „keine einzelne Pflanze heraussticht“ und Ogi das offensichtlich schätzt und billigt, und wie nach ihrem Tod die Ranken in „schmarotzender Grausamkeit“ die Herrschaft übernehmen.

Wie Ogi von der altersgebeugten und doch durchsetzungsfähigen Schwiegermutter völlig abhängig und sich seiner aussichtslosen Situation immer bewusster wird, das lässt sich in knapper, ernüchternder Sprache wie ein Psychothriller lesen aber auch wie eine groteske Gesellschaftsstudie, die viel über das Verhältnis von Mann und Frau in Süd-Korea zu erzählen hat.